Brasilien feiert paralympisch

In Rio kommen mehr Zuschauer als zu Olympia

  • Ronny Blaschke, Barra da Tijuca
  • Lesedauer: 2 Min.

Der Applaus setzt langsam ein, wird lauter und ebbt wieder ab. Die Mehrheit der 3000 Zuschauer in der Carioca Arena 2 scheint nicht zu verstehen, was da unten beim Boccia vor sich geht. Die Spieler haben schwerste Behinderungen, einige sind beim Wurf der Kugel auf Unterstützung angewiesen. Nach einer Weile verkündet der Sprecher, dass Brasilien gegen Belgien 4:2 gewonnen hat. Aus dem zögerlichen Applaus wird ein Jubelsturm. António Leme, ein Spieler des Gastgebers mit schwerer Spastik, wippt vor Freude so sehr auf und ab, dass er seinen Rollstuhl fast zum Kentern bringt.

Erfahrungswerte - mit diesem Begriff wirbt Philip Craven, der Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC), für seine Bewegung. Und diese Erfahrungen im Umgang mit behinderten Menschen haben in den vergangenen Tagen viele Brasilianer gemacht. Allein am Samstag waren laut Organisationskomitee fast 170 000 Menschen im Olympiapark von Barra unterwegs, so viele wie nie bei den Olympischen Spielen an einem einzelnen Tag. »Die dunklen Wolken, die wir beim Anflug auf Brasilien gesehen haben, sind nach einer Woche komplett verflogen«, sagt Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS). Von organisatorischem Chaos keine Spur.

Im Olympiapark waren am Wochenende viele Familien unterwegs, einige Stauplätze für Kinderwagen waren wegen Überfüllung geschlossen. Der Parcours an Sponsoren ist dieses Mal noch größer als in London 2012. Nach den Wettkämpfen standen Besucher stundenlang Schlange, um Modelle eines Mobilfunkherstellers oder historische Flaschenetiketten eines Brauseproduzenten zu betrachten. Zwischen Autohaus, Konzertbühne und Lotteriebüro wurden aber auch Kinder zum Ausprobieren von Sitzvolleyball oder Rollstuhltennis animiert.

Noch vor einem Monat wurde über eine mögliche Absage der ersten Paralympics in Lateinamerika spekuliert. Innerhalb von wenigen Tagen musste eine Finanzierungslücke von rund 250 Millionen Reais ausgeglichen werden; die Bundesregierung und die Gastgeberstadt schossen die fast siebzig Millionen Euro nach, obwohl sich Brasilien in einer schweren Rezession befindet. Einige Wettkämpfe wurden aus Deodoro, dem zweitgrößten Olympiaareal, nach Barra verlegt. Der Medientransport wurde eingeschränkt, Feiern fielen aus, Helfer wurden nicht weiter beschäftigt.

Aber es scheint, als sehnten sich die Cariocas nach Ablenkung, und die Organisatoren kommen ihnen entgegen, mit stark reduzierten Ticketpreisen und spontanen Werbeaktionen. Beim Blindenfußball mussten die Fans der brasilianischen Mannschaft zur Ruhe ermahnt werden. Nur so konnten die Spieler die Rasseln im Ball hören und nach einem Rückstand gegen Marokko doch noch gewinnen.

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