Ab und an kommen auch Touristen

Das b-ware ladenkino in Friedrichshain ist kein Kino, sondern eine Cinemathek, in der Filme gezeigt werden

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 4 Min.

An diesem Ort ist vieles nicht das, was der erste Eindruck vermittelt. «Dies ist kein Kino» steht in großen Buchstaben über dem Eingang zu einem Laden. In der Tat schaut es drinnen nicht danach aus, dass hier Filme im Angebot sind. In der Ecke steht ein Tresen, im Vorraum stehen Rokoko-Stühle, -Sessel und -Tische vom Flohmarkt, eine kleine Bühne lässt eher an ein Cafe erinnern, in dem gelegentlich Nachwuchsliteraten aus ihren unveröffentlichten Manuskripten vorlesen. An der Bar hat man neben Kaffee, Tee, Flaschenbier und Wein die Auswahl zwischen 60 verschiedenen Whisky-Sorten.

Doch die Filmplakate an den Wänden weisen bereits in die richtige Richtung, und richtig, um die Ecke finden sich regalmeterweise DVDs und im Romy-Royal-Saal wird tatsächlich ein Film von einem Beamer an die Wand geworfen. Der Saal heißt so, weil die Bestuhlung aus einem ehemaligen Kino in Berchtesgaden stammt, dem Geburtsort der 1982 verstorbenen Schauspielerin Romy Schneider.

Früher war hier an der Ecke Gärtner-/Boxhagener Straße einmal eine Videothek. Heute nennt sich die Örtlichkeit b-ware! Ladenkino. «Wir sind, sagt »Skalli«, der Betreiber des Ladens, der unweit des Boxhagener Platzes liegt, »auch kein Kino, sondern eine Cinemathek, in der Filme gezeigt werden«. Auf diesen Unterschied legt der Mann mit der Sturmfrisur wert. Eigentlich heißt er auch nicht »Skalli«; diesen Namen haben ihm seine Freunde verpasst, denen der richtige Name zu lang und zu kompliziert war. »Skalli« ist ein Ostfriese aus Emden, dem seine aus Portugal eingewanderte Eltern den Namen Paulo Goncalves Da Senhora gegeben haben. Ostfriesland verdankt »Skalli« auch seine Begeisterung für den Film. In der Provinz, wohin es seine Eltern verschlagen hatte, war nicht viel los, also saß der kleine Paulo oft vor dem Fernseher. Dort liefen Filme wie »Godzilla« oder »King Kong«. Eigentlich kein Stoff für ein Kind, aber die Eltern waren froh, dass sich ihr Sohn nicht auf der Straße rumtreibt.

2001 kam »Skalli« nach Berlin - und er ist seiner Leidenschaft für den Film treu geblieben. Die Cinethek gibt es bereits seit 2010 an diesem Standort, das Ladenkino seit 2011. Mit Freunden hat »Skalli« allerdings bereits schon zehn Jahre zuvor ein Ladenkino in der Nähe des S-Bahnhofs Ostkreuz eröffnet. Dann wollte man ein größeres Kino auf dem RAW-Gelände am S-Bahnhof Warschauer Straße errichten; es sollte eine Art Lebenswerk werden. Mehr als 70 Menschen engagierten sich in dem Projekt. Das Geld dazu kam von dem Ersparten - und von einem Bankkredit. Doch als man fast fertig war und bereits rund eine Viertelmillion Euro in das Projekt gesteckt hatte, gab es Ärger mit dem Eigentümer des RAW-Geländes. Der ließ den fast fertiggestellten Bau räumen. »Vor Gericht bekamen wir zwar eineinhalb Jahre später Recht, aber die Schulden waren mittlerweile so hoch, dass wir faktisch bankrott waren«, sagt »Skalli«. Auch das Ladenkino am Ostkreuz mussten sie aufgeben, nachdem dort die Miete um das vielfache gestiegen war.

»Die ersten vier Jahre haben wir hier alle ehrenamtlich gearbeitet«, berichtet »Skalli«. »Wir hatten nicht einmal das Geld, um eine Glühbirne zu kaufen«, erinnert er sich. Jeder Cent sei in die Schuldentilgung gesteckt worden. Seit 2015 werden Gehälter bezahlt. Ein zweites Standbein hat sich das b-ware! Ladenkino mit der Organisation von Open-Air-Kinovorstellungen aufgebaut. So ist das Team um Paulo Goncalves Da Senhora auch für das Sommerkino im Hof im nd-Gebäude am Franz-Mehring-Platz 1 verantwortlich.

Spezialisiert ist man auf Arthouse-Filme, knapp 16 000 Filme können ausgeliehen werden. Viele der Filme, die in den drei Vorführräumen gezeigt werden, laufen im Original mit deutschen Untertiteln. »Wir haben das typische Arthouse-Programm, aber wir haben auch kein Problem mit gutem Unterhaltungskino«, sagt »Skalli«. »Wenn wir einen Blockbuster wie den Fantasy-Film ›Warcraft‹ zeigen, dann aber in feinstem 3-D«. Will heißen: Während in 99 Prozent der Kinos 3-D-Filme mit Ein-Euro-Wegwerfbrillen gesehen werden, setzt man sich im b-ware! Ladenkino für den 3-D-Genuss einhundert Euro teure Brillen auf, die ein gestochen scharfes Bild liefern.

Das Publikum kommt vorwiegend aus dem Kiez. »Wir haben aber auch viele ältere Besucher, die für die Nachmittagsvorstellungen teilweise aus Schöneberg oder Charlottenburg anreisen«, erzählt »Skalli«. Ab und an kommen auch Touristen, »obwohl«, wie der Kino-Betreiber betont, »wir uns Mühe geben, nicht aufzufallen«. Nur die wenigsten Touristen wollen sich aber Filme ausleihen oder sich welche anschauen. Unvermittelt stehen dann, so »Skalli« 20 bis 40 Leute in dem kleinen Vorraum und lassen sich von einem Stadtführer auf Englisch, Italienisch oder Spanisch etwas über den »Szene-Kiez« und sein »Szene-Kino« berichten und entschwinden zwei Minuten später wieder gen Boxhagener Platz. Ihren Lieben daheim werden sie wahrscheinlich erzählen, dass sie in einem Kino waren, das kein Kino ist. Verrücktes Berlin!

b-ware ladenkino, Gärtnerstraße 19, Friedrichshain, Tel.: (030) 63 41 31 15; ladenkino.de

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