Was kümmert uns unser Beschluss von gestern?

SPD-Juristen kommen zu dem Schluss, dass CETA nicht den Parteianforderungen entspricht

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Freihandelsstreit in der SPD hat eine lange Geschichte. Bereits vor zwei Jahren war Sigmar Gabriel, der die Abkommen der EU mit den USA und Kanada, TTIP und CETA, grundsätzlich befürwortete, mit Vertretern der SPD-Linken im Parteivorstand heftig aneinandergeraten. Sie warfen ihrem Vorsitzenden vor, die negativen Auswirkungen der Freihandelsabkommen auszublenden. Letztlich wurde bei dem Parteikonvent Ende September 2014 ein Kompromiss geschlossen. Die SPD stellte diverse Bedingungen an die Vertragstexte.

Inzwischen stocken die Verhandlungen zu TTIP. Dagegen wurden die Gespräche zu CETA abgeschlossen. Ende Oktober soll das Papier beim EU-Kanada-Gipfel unterzeichnet werden. Zuvor wird am Montag ein weiterer Parteikonvent der SPD in Wolfsburg darüber entscheiden, ob das Abkommen den Anforderungen der Sozialdemokraten entspricht. Nach Ansicht des Parteivorstands steht einer vorläufigen Anwendung von Teilen des Vertrags nichts im Weg. Bis zur vollständigen Anwendung von CETA werden im parlamentarischen Verfahren noch einige Prüfungen versprochen sowie Klarstellungen und Präzisierungen in Aussicht gestellt.

So steht es in einem Leitantrag der SPD-Spitze für den Konvent. Dieser basiert in Teilen auf einer Synopse von Bernd Lange. Der Sozialdemokrat leitet den Handelsausschuss im Europäischen Parlament. Nach Ansicht von Lange entspricht CETA in fast allen Punkten den Kriterien, welche die SPD aufgestellt hat. Lange schreibt, dass in dem europäisch-kanadischen Abkommen in vielen Bereichen fortschrittlichere Regeln und Standards vereinbart worden seien als dies in bisherigen europäischen und nationalen Handelsabkommen der Fall gewesen sei. Weitgehend positiv werden in dem Text auch der Schutz der Daseinsvorsorge und Bestimmungen zum Schutz der Arbeiterrechte bewertet.

Dagegen ignorierten die führenden Genossen eine ebenfalls in diesem Sommer erschienene Analyse von sozialdemokratischen Juristen und Sozialwissenschaftlern aus Nordrhein-Westfalen zu CETA, die weitaus kritischer ist als die Einschätzung von Bernd Lange. Autoren sind der Bielefelder Jurist Ridvan Ciftci, Folke große Deters, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen in NRW, sowie der Hochschulprofessor Dietmar Köster, der im Europaparlament sitzt.

CETA wird zur Nebenverfassung

Sie erinnern daran, dass die SPD einst beschlossen hatte, dass in den Abkommen Investitionsschutzvorschriften grundsätzlich nicht erforderlich seien. Allerdings finden sich diese in Kapitel 8 des CETA-Vertrags. Darin wird ein Investor-Staat-Schiedsverfahren vereinbart. Die Autoren kritisieren, dass durch CETA eine Nebenverfassung und ein Nebenverfassungsgericht etabliert werden. Staaten können zu hohen Schadensersatzleistungen verpflichtet werden. Grundlage hierfür ist die »Beschränkung berechtigter Gewinnerwartungen« von Unternehmen. Im Zweifel könne dies zur Aufhebung eines Gesetzes führen. Das ähnele im Ergebnis einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle, monieren die SPD-Rechtsexperten. Grundlage für die Entscheidungen der neu etablierten CETA-Schiedsgerichte sei nicht das nationale Recht, sondern CETA, das so zur Nebenverfassung werde.

Wohnungen und Investorenschutz

Von CETA könnte etwa ein Berliner Gesetz betroffen sein, das die Zweckentfremdung von Wohnraum als Übernachtungsmöglichkeit für Touristen verbietet. Kanadische Investoren könnten dagegen vor dem Schiedsgericht klagen und Schadensersatz für entgangenen Gewinn einfordern. Bei einem juristischen Erfolg würde ihnen als Ersatz die Differenz zwischen Wohnraumnutzung und Touristennutzung für ihre Immobilien zustehen. Diese Schadensersatzansprüche könnten auch für die Zukunft gelten, wenn das Gesetz durch die Berliner Landesregierung nicht zurückgenommen wird.

Es gibt weitere Forderungen der SPD, die ebenfalls nicht erfüllt werden. Laut Konventsbeschluss dürften »Schutzrechte für Arbeitnehmer, die Umwelt und Verbraucher in keinem Fall als nicht-tarifäre Handelshemmnisse interpretiert werden«. Das Gutachten belegt hingegen, dass durch CETA das Vorsorgeprinzip aufgegeben wird. Dieses ermöglicht es, Produkte zu verbieten, wenn Hinweise für ihre schädliche Wirkung vorliegen. Dagegen gilt bei CETA das Nachsorgeprinzip. Erst wenn ein eindeutiger wissenschaftlicher Nachweis für die Schädlichkeit eines Produkts vorliegt, wird dieses vom Markt genommen. Bis dies geschehen ist, tragen die Verbraucher das Risiko.

Zudem wird durch das Freihandelsabkommen festgelegt, dass Arbeiter und Angestellte nicht die Möglichkeit haben, bei Verletzungen ihrer Rechte vor dem Schiedsgericht zu klagen. Dies steht im Widerspruch zum SPD-Beschluss, wonach die Einhaltung von Arbeits- und Sozialstandards in Konfliktfällen genauso wirkungsvoll sichergestellt sein muss wie die Einhaltung anderer Regeln des Abkommens. CETA sieht zur Durchsetzung von Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards lediglich ein dialogorientiertes Verfahren unter Einbindung der Zivilgesellschaft einschließlich der Gewerkschaften vor. Dieses Verfahren sieht keine Sanktionsmöglichkeiten vor.

Drohende Privatisierungen

Kritiker, die durch CETA weitere Privatisierungen befürchten, wollte die SPD mit dem Bekenntnis beruhigen, dass es »keinen direkten oder indirekten Zwang zu weiterer Privatisierung und Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen« geben dürfe. Anstelle der »Negativlisten« sollte ein »Positivkatalog« erstellt werden. Dies wurde nicht getan. Auf einer »Positivliste« würden die Bereiche auftauchen, für die das Abkommen Gültigkeit haben sollte. Auf der »Negativliste« werden hingegen die Ausnahmen vom Privatisierungsgebot genannt. Demnach ist alles grundsätzlich erlaubt, was nicht ausdrücklich verboten ist. Nach Angaben der SPD-Rechtsexperten unterliegen nach CETA etwa kommunale Energie- und IT-Dienstleistungen den Marktöffnungsverpflichtungen.

Wenn sich die politischen Mehrheiten ändern sollten und eine Regierung aus CETA aussteigen will, gilt das Abkommen weiterhin. Unternehmen haben dann 20 Jahre lang die Möglichkeit, Staaten auf Schadensersatz zu verklagen. Die von der SPD angemahnte Kündigungsklausel hat somit nur eine geringe Wirkung.

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