Rot-Rot-Grün? Union macht gegen »linke Republik« Front

CSU-Genersekretär will SPD und Grüne gegen Linkspartei schwören lassen / Parteienforscher: Rot-Rot-Grün kann »urdemokratische Eigenschaft entfalten«

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Berlin. In der Hauptstadt wäre es die beliebteste Koalition, immerhin 44 Prozent der Berliner sprechen sich für Rot-Rot-Grün aus. Und nach dem vorläufigen Endergebnis der Wahl zum Abgeordnetenhaus ist es auch die wahrscheinlichste Variante. Doch die Union macht schon Stimmung gegen ein solches Bündnis - auch mit Blick auf die Vorbildfunktion für den Bund.

CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sagte am Sonntagabend: »Es geht darum, Rot und Grün zum Schwur zu verpflichten, dass sie kein Linksbündnis eingehen.« Scheuer warnt die SPD wie Tauber vor einem »Weg in die linke Republik«. Sein CDU-Kollege Peter Tauber betonte: »Es gilt, eine rot-rot-grüne Regierung zu verhindern.« Die SPD-Generalsekretärin Katarina Barley sprach mit Blick auf den Bund die Linkspartei an: Diese müsse »sich entscheiden zwischen einer Linkspartei von Sarah Wagenknecht und Dietmar Bartsch«. Deren Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn nahm es gelassen: »Wir werden uns für einen Politikwechsel entscheiden.«

Klar ist jedenfalls: Bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin haben die bisherigen Regierungspartner SPD und CDU historisch schlecht abgeschnitten und können ihre Koalition nicht fortsetzen. Die SPD kann aber weiter regieren. Dafür muss sie sich zwei Partner suchen - Zweierbündnisse haben in der Hauptstadt keine Mehrheit mehr. SPD-Spitzenkandidat Michael Müller legte sich am Abend noch nicht genau fest - aber er sendete klare Signale. Er kündigte Sondierungsgespräche mit allen Parteien außer der AfD an und fügte mit Blick auf die CDU hinzu: »Ich sehe mehr Schnittmengen mit Grünen und Linken.«

Bei Letzterer feierte man Sonntagabend – und blieb ansonsten erst einmal auf dem koalitionspolitischen Teppich. »Heute freuen wir uns, ab morgen reden wir darüber, wer mit wem worüber spricht«, sagte die Berliner Landeschefin Katrin Lompscher. Koalitionspolitische Grüße entsandte am Wahlabend bereits Bodo Ramelow. »Mit einer starken und selbstbewussten Linken«, so der Thüringer Ministerpräsident, gelinge rot-rot-grüne Politik »auf gleicher Augenhöhe«.

Nach leichten Verlusten setzen die Grünen ganz auf die Karte Regierungsbeteiligung. »Die Leute wollen eine seriöse Regierung, wir können das«, sagt Bundesparteichef Cem Özdemir am Wahlabend - und meint damit wohl zunächst die Regierungsbildung in der Hauptstadt. Auf die Frage, ob eine mögliche Koalition zwischen SPD, Grünen und Linken in Berlin ein Modell für den Bund sei, gibt er sich zurückhaltend: »Ich glaube, die Zeit von Modellen ist vorbei.« Özdemir gilt als Befürworter von Schwarz-Grün im Bund.

Der Umweltstaatssekretär und frühere Naturschutzbund-Chef Jochen Flasbarth sagte, SPD, Linke und Grüne »können in Berlin jetzt zeigen, dass progressive Mehrheiten nicht nur möglich sind, sondern auch zu guter Politik führen«. Auch der Parteienforscher Gero Neugebauer sieht das mögliche Dreierbündnis aus SPD, Grünen und Linken in Berlin als Chance für die Demokratie. »Man muss vor dieser Entwicklung keine Angst haben, denn es kann sich eine urdemokratische Eigenschaft entfalten: nämlich die Bereitschaft, Konsens zu finden und Kompromisse zu schließen«, sagte der Politikwissenschaftler der »Berliner Zeitung«. Das sei nicht gering zu schätzen. Es sei aber auch klar, dass in solchen Bündnissen »das Tableau der Interessen, die vertreten sind, kleiner« sei. »Vieles hängt in solchen Konstellationen deshalb von den handelnden Personen und deren Bereitschaft zu Kompromissen ab«, sagte Neugebauer.

Die Linkspartei in Sachsen-Anhalt erklärte zur Berliner Wahl, der alte Senat habe abgewirtschaftet, »die Tür für Rot-Rot-Grün ist aufgestoßen«. Auch in Magdeburg ist von einem Signal in die Bundesrepublik die Rede - von einem positiven: »Eine neue Allianz zwischen Politik und Bürgern für soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit, eine Politik der Offenheit und des Zuhörens« sei möglich. Das sei auch ein Ergebnis der Berliner Linkspartei, die mit ihrer Kampagne »Die Stadt gehört euch« diejenigen erreicht habe, die Aufbruch wollten, ohne Schwächere abzuhängen, erklärten die Landesvorsitzende Birke Bull und Fraktionsvorsitzender Swen Knöchel.

Das Forum Demokratischer Sozialismus in der Berliner Linken riet schon am Abend zum Blick nach vorn: Das Wahlergebnis sei »kein Grund zum Ausruhen und bedarf einer grundlegenden Analyse«. Dies gelte sowohl für das immer noch starke Abschneiden der AfD als auch die Frage Rot-Rot-Grün. »Eine solche Konstellation hat allerdings nur dann Sinn, wenn der rein konservativen bis rechten (möglicherweise auch liberalen) Opposition ein linker und emanzipatorischer Politikstil entgegengesetzt wird«, so das Forum. Es werde sich in den nächsten Tagen »zeigen, ob auch SPD und Grüne für diese Art von Politik bereitstehen«.

Der Grüne Sven Giegold verwies auf die bundespolitische Bedeutung einer solchen Koalition. »Eine rot-grün-rote Berliner Landesregierung ist ein weiteres ›Nein gegen CETA im Bundesrat«, sagte der Europaabgeordnete am Abend - und bezeichnete das Ergebnis für die drei Parteien als »bärenstark«. Auch die Thüringer Grünen-Politikerin Astrid Rothe-Beinlich sieht in dem Ausgang der Wahlen ein Signal für Rot-Rot-Grün. Eine »satte Mehrheit« für Rot-Rot-Grün zeichne sich ab - »und das ist auch gut so«, twitterte sie am Sonntagabend. Die Grüne Jugend Berlin erklärte, die Hauptstadt habe »sich entschieden: Ein politischer Wechsel hin zu einem ökologischerem und sozialen Berlin ist möglich«. tos/mit Agenturen

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