Im Schloss werden Kisten geschleppt

Mecklenburg-Vorpommern: SPD und CDU beginnen Koalitionsgespräche, Grüne und NPD räumen ihre Landtagsbüros

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Schwerin. Zwei Wochen nach der Landtagswahl starten SPD und CDU in Mecklenburg-Vorpommern ihre Koalitionsgespräche. Bei einem Treffen der Parteispitzen am Montag in Schwerin sollte zunächst der Fahrplan für die Arbeit an einem gemeinsamen Regierungsprogramm aufgestellt werden. Dem Vernehmen nach wollen beide Parteien, die zuvor schon zehn Jahre lang zusammen regierten, ihre Gespräche über landespolitische Ziele und Aufgaben sowie die Besetzung der Ministerien innerhalb von fünf Wochen abschließen. Nach Maßgabe der Landesverfassung muss die Wahl des neuen Regierungschefs bis spätestens 1. November erfolgen.

Als Gewinner der Wahl hatten die Sozialdemokraten sowohl mit ihrem bisherigen Koalitionspartner CDU als auch mit der LINKEN die Möglichkeit für eine Regierungsbildung ausgelotet. Die SPD legte sich schließlich auf konkrete Verhandlungen mit den Christdemokraten fest.

SPD-Landeschef und Ministerpräsident Erwin Sellering hat bereits deutlich gemacht, dass er in seiner dritten Amtszeit die Kita-Förderung erhöhen und damit Familien mit Kleinkindern weiter entlasten will. Zudem strebt er eine höhere Tarifbindung der Firmen im Land an, um das Lohngefälle zum Westen zu verringern. Wie dies unter Achtung der Tarifautonomie geschehen soll, blieb offen.

Die von Innenminister Lorenz Caffier geführte CDU will nach eigenen Angaben die innere Sicherheit, die Unterstützung strukturschwacher Regionen sowie die weitere wirtschaftliche Entwicklung des Landes zu Schwerpunkten der Landespolitik machen. Mit Spannung wird erwartet, ob sie ihre Forderungen nach 555 zusätzlichen Polizeistellen und einem Staatssekretär, der sich nur um die Belange Vorpommerns kümmert, durchsetzen kann. Viele Menschen im Osten des Bundeslandes fühlen sich von der Regierung in Schwerin vernachlässigt. Die AfD erzielte dort bei der Landtagswahl am 4. September ihre besten Ergebnisse und errang drei Direktmandate.

Im Schweriner Schloss, das von einheimischen Politikern gern als schönster deutscher Landtagssitz bezeichnet wird, werden nun Kisten gepackt und geschleppt: Grüne und NPD ziehen aus, die AfD zieht ein. Landtagsdirektor Armin Tebben obliegt die Verwaltung des stark verwinkelten Gebäudekomplexes mit seinen Türmchen, Erkern, Wendeltreppen und Museumsräumen. Über die neue Raumverteilung soll am Mittwoch erstmals beraten werden.

Während bei der NPD-Fraktion »eigentlich niemand mehr da ist«, wie eine Mitarbeiterin am Telefon erklärt, sind die Büros der Grünen bis auf das der Öffentlichkeitsarbeit noch in Betrieb. »Bis zum 4. Oktober gibt es die Fraktion im Landtag, danach wird sie zur Fraktion in Liquidation«, erläutert Fraktionsgeschäftsführer Till Hafner. Die Büros müssten spätestens am 14. Oktober besenrein verlassen sein. »Einen Teil der Räume übergeben wir früher«, sagt er. Sämtliches Vermögen wie Möbel, Computer und Drucker falle an die Landtagsverwaltung zurück. Sieben Abgeordnete und 17 Mitarbeiter der Fraktion verlieren ihre Arbeitsplätze. Deren Arbeitsverträge liefen zumeist bis November, sagt Hafner. Auch etwa 15 Mitarbeiter in Grünen-Wahlkreisbüros verlieren nach Angaben der Parteivorsitzenden Claudia Müller ihren Job.

Auch Silke Gajek, bislang grüne Vize-Präsidentin des Landtags, weiß noch nicht, wie es für sie beruflich weitergeht. In die Schweriner Selbsthilfe-Beratung KISS könne sie nicht zurück, berichtet die 54-Jährige, die nach dem Schock der Landtagswahl eine Auszeit auf dem Hausboot genommen hat. Sie weiß zumindest schon, wo sie sich nun bewerben will. »Ich bin unterhaltspflichtig«, sagt die Mutter eines Sohnes. Im Wahlkampf war sie »die ganze Zeit draußen, eine Graswurzelarbeiterin«, wie sie formuliert. »Da habe ich nicht geguckt, was ich machen kann, wenn es schief läuft.« Auch wenn diese Möglichkeit immer im Kopf gewesen sei.

Der einzige Abgeordnete der Grünen, der sich beruflich nicht neu orientieren muss, ist nach eigenen Worten der Liquidator der Fraktion, Johann-Georg Jaeger. Er ist selbstständiger Projektentwickler für erneuerbare Energien. Wie Hafner sagt, ist eigentlich generell vorgesehen, dass die Abgeordneten noch eine Arbeitsmöglichkeit neben dem Parlament haben. Die Realität sieht anders aus, zumal die Abgeordneten mit einer Diät in Höhe eines Richtergehalts, der Erstattung der Kosten für einen Mitarbeiter und einer Pauschale für die politische Arbeit finanziell nicht schlecht dastehen. Nach der Zeit im Landtag erhalten sie - falls noch nicht im Rentenalter - auf Antrag für bis drei Jahre lang ein Übergangsgeld in unterschiedlicher Höhe. Dagegen muten die Beschäftigungsverhältnisse der Fraktionsmitarbeiter geradezu prekär an: befristet und im Bestand von ihnen nicht beeinflussbar.

Von Mitarbeitern verabschieden müssen sich auch die LINKEN, die drei ihrer bislang 14 Parlamentssitze verlieren. Rund 20 Mitarbeiter sind in der Fraktion beschäftigt. »Ein Personalabbau ist wahrscheinlich«, meint Fraktionsgeschäftsführer Tom Scheidung. Schließlich würden die Zuschüsse aufgrund der geringeren Abgeordnetenzahl sinken.

Die Neuen im Landtag haben völlig andere Probleme. Sie müssen erst einmal Fachreferenten gewinnen und sind dabei, Stellen auszuschreiben, wie der AfD-Landeschef und Fraktionsvorsitzende Leif-Erik Holm berichtet. Er rechnet mit rund 20 Mitarbeitern. Die Büros im Schloss kennt er noch nicht. »Wir wollen möglichst zusammenhängende Räume«, wünscht er sich für die 18 Abgeordneten. Die Chancen sind gering - selbst die kleinen Fraktionen von sieben grünen und fünf NPD-Abgeordneten hatten keine zusammenhängenden Räume. Die LINKEN sind vor einiger Zeit schon gleich ganz aus dem Schloss ausgezogen. dpa/nd

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