Bis zu acht Parteien

Kräfteverhältnisse in den Bezirksparlamenten unterscheiden sich teils erheblich

Als Zaungast ist die LINKE in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Reinickendorf schon lange dabei. In den zurückliegenden fünf Jahren stellten die Genossen dem Parlament 120 Einwohnerfragen. Doch nach der Wahl vom Sonntag verwandelt sich die LINKE vom Zuschauer und Fragesteller zum Mitwirkenden. Der Politikwissenschaftler Felix Lederle, die pensionierte Lehrerin Marion Kheier und die Diplom-Kauffrau Deniz Seyhun werden Bezirksverordnete.

Es ist so gekommen, wie Lederle vorausgeahnt hat. Die Akzeptanz für die LINKE nun auch im Westen Berlins sei in den letzten Jahren gestiegen, hatte er am Freitag am Rande des Straßenwahlkampfs im Märkischen Viertel berichtet. Andererseits seien auch Fremdenfeindlichkeit und unbegründeter Neid auf Flüchtlinge zu hören gewesen. So habe sich neben dem Erfolg für die LINKE auch das bedauerlich gute Abschneiden der AfD angedeutet, sagt Lederle am Montag. »Wir sind natürlich mit unserem Ergebnis zufrieden«, meint er. »Das ist ein großer Schritt und eine große Chance für die LINKE. Wir wollen sie nutzen.«

2001 war die Erzieherin Renate Herranen für die PDS in die BVV eingezogen. Einen ähnlichen Erfolg konnten die Sozialisten in Reinickendorf aber bis jetzt nicht wieder verbuchen. 2011 scheiterten sie mit 2,9 Prozent denkbar knapp an der auf Bezirksebene geltenden Drei-Prozent-Hürde. Vor dem Wahlsonntag war der Bezirksverband zuversichtlich, dass es diesmal klappen müsste. Völlig sicher konnte er sich aber nicht sein. Nun wurden es gleich 5,4 Prozent. Das ist zwar etwas weniger als in Spandau und anderen Westbezirken, aber dennoch gut.

Erstmals sei es der Linkspartei gelungen, gleichzeitig in alle Bezirksverordnetenversammlungen in Fraktionsstärke einzuziehen, stellt Lederle fest. Das Abschneiden der AfD bereitet ihm aber Sorgen. »Ich kann mich deswegen jetzt wirklich nicht super freuen«, bemerkt er. Lederle weiß auch schon, die CDU-Dominanz in Reinickendorf lässt sich nicht auflösen. Zwar verloren die Konservativen dort sechs Prozent, erzielten aber mit 35,6 Prozent immer noch ein Spitzenergebnis. Ansonsten ist die CDU nur noch im Bezirk Steglitz-Zehlendorf (28,4 Prozent) stärkste Kraft. Die LINKE hat bei den BVV-Wahlen in Pankow, Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf mehr Stimmen bekommen als alle anderen.

Die Grünen siegten diesmal nicht nur in Friedrichshain-Kreuzberg, so dass Monika Herrmann wohl weiter Bürgermeisterin bleiben wird, sondern auch in Mitte. »Langsam höre ich auf, zu zittern«, sagt am Montagnachmittag Stephan von Dassel, grüner Spitzenkandidat und bisher Sozialstadtrat im Innenstadtbezirk über seinen Wahlerfolg. Er freut sich, dass mit ihm nach 16 Jahren wieder ein Grüner Bezirksbürgermeister werden kann. Er freut sich vor allem über den künftig größeren Handlungsspielraum bei der Flüchtlingsunterbringung. »Ich will die Familien endlich aus den Turnhallen herausbringen«, sagt er.

Die SPD hat die Nase in den verbleibenden Bezirken vorn. In ihrer Hochburg Neukölln verloren die Sozialdemokraten mit einem Rückgang von 12,4 Prozent mehr als jeden vierten Wähler. Trotzdem wird wohl weiterhin Franziska Giffey Bezirksbürgermeisterin bleiben. In Spandau hat die Partei nur einen Verlust von 1,4 Prozent hinnehmen müssen, damit wurde die SPD stärkste Partei. In den restlichen Bezirken lagen die Verluste zwischen den beiden Extremen.

Die LINKE hatte in fast allen Bezirken Zugewinne. Die Spannbreite reicht dabei von 2,5 Prozent in Spandau bis zu 8,3 Prozent in Friedrichshain-Kreuzberg. In Treptow-Köpenick hat die Partei 1,1 Prozent verloren und in ihren beiden traditionellen Hochburgen Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg 5,1 beziehungsweise 4,4 Prozent eingebüßt. »An uns kommt keiner vorbei«, freut sich trotzdem Spitzenkandidatin Evrim Sommer. »Dieses Wahlergebnis ist ein Auftrag an die LINKE, Lichtenberg sozial gerechter zu machen«, sagt Sommer. Keine Zählgemeinschaft kann der Linkspartei diesmal den Bürgermeisterposten wegnehmen, zumindest nicht, solange der Konsens gilt, nicht mit der AfD zu kooperieren. Die ist mit 19,2 Prozent immerhin drittstärkste Partei in Lichtenberg geworden, genau wie in Treptow-Köpenick (20,1 Prozent). In Marzahn-Hellersdorf wurden die Rechtspopulisten mit 23,2 Prozent sogar zweitstärkste Fraktion. Nur in Mitte, Charlottenburg-Wilmersdorf und Friedrichshain-Kreuzberg blieben die Ergebnisse der AfD einstellig. »Wir sind und bleiben die Antipode zur AfD«, erklärt dazu Annika Gerold von den Friedrichshain-Kreuzberger Bezirksgrünen. »In unserem Bezirk werden wir auch weiterhin gegen rassistisches, sexistisches und homophobes Gedankengut kämpfen«, kündigt sie an.

Bei den Grünen halten sich die Verluste in Grenzen, in Lichtenberg und Neukölln konnte sie sogar leicht zulegen. Bei der CDU schaffte es der Bezirksverband Lichtenberg gegen den Trend der Landespartei, sein Ergebnis zu verbessern. Er steigerte sich zwar nur bescheiden von zwölf auf 12,6 Prozent. Doch das ist ins Verhältnis zu setzen zu den Verlusten in anderen Bezirken, wo die CDU überall einbüßte - jeweils gleich elf Prozent waren es in Spandau und Steglitz-Zehlendorf. »In einem herausfordernden Stimmungsumfeld konnte die CDU Lichtenberg ihr Ergebnis auf Bezirksebene leicht verbessern«, betonte der CDU-Kreisverband.

Zwar kennen viele Berliner nicht einmal den Namen ihres Bezirksbürgermeisters, gewählt werden anders als bei Kommunalwahlen in Flächenländern nicht die Personen, sondern Listen. Dennoch gibt es auch auf Bezirksebene mehr oder weniger bekannte und mehr oder weniger populäre Politiker. Der persönliche Eindruck spielt dann doch eine Rolle. So erzählt der LINKE-Bezirksvorsitzende Lederle aus Reinickendorf: »Mit vielen Mieterinitiativen bin ich per Du.« Dennoch bleibt er als Mensch bescheiden und und als Politikwissenschaftler realistisch. Dass die LINKE in Reinickendorf zugelegt habe, liege einfach im Trend, sagt er.

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