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Die Macht des Faktischen

Aktuell wird über eine mögliche EU-Armee gestritten. Jörg Kronauer erklärt, warum manchen Staaten diese Idee nicht passt.

  • Jörg Kronauer
  • Lesedauer: 4 Min.

Kommt sie oder kommt sie nicht? Es gebe keinerlei Chance auf eine EU-Armee, solange Großbritannien noch dem Staatenbund angehöre, hat der britische Verteidigungsminister Michael Fallon vergangene Woche erklärt. Aber wer wird sich denn gleich so aufregen, beschwichtigte prompt die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini: In ihren jüngsten Diskussionen mit den Verteidigungsministern der EU-Staaten habe sie das Reizwort EU-Armee nicht ein einziges Mal gehört. Auch Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) gab sich unschuldig: Sie setze sich doch lediglich dafür ein, »die unterschiedlichen Stärken der europäischen Länder besser zusammenzufassen, damit wir gemeinsam schnell handlungsfähig sind«, erklärte sie. Da könne man doch wohl vernünftigerweise nichts dagegen haben. Will also wirklich niemand eine EU-Armee? Macht Fallon bloß viel Lärm um nichts?

Nein, macht er nicht. Die EU-Armee gehört seit Jahren zu den erklärten Zielen Berlins. Man müsse auf lange Sicht »einer gemeinsamen europäischen Armee näher kommen«: Das äußerte Bundeskanzlerin Angela Merkel schon im März 2007. »Das langfristige Ziel ist der Aufbau einer europäischen Armee«, bestätigte der damalige Außenminister Guido Westerwelle (FDP) im Februar 2010. Militärpolitiker der SPD-Bundestagsfraktion bekundeten Ende 2014, sie wollten »die treibende Kraft auf dem Weg zu einer parlamentarisch kontrollierten europäischen Armee sein«. Für die Grünen sprach sich Parteichef Cem Özdemir Anfang 2015 für eine »europäische Armee« aus - natürlich unter der Bedingung, dass sie nur »dem Frieden« diene. Beim Thema EU-Armee kennt Berlin fast keine Parteien mehr. Und aus Brüssel gibt es ein Placet: Eigene Streitkräfte sollten der EU »helfen, eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu gestalten« und »in der Welt« machtvoller aufzutreten, schloss sich EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im März 2015 an.

Nur: Nicht alle EU-Staaten können sich mit dem Berliner Plan anfreunden, die Militärpolitik nach Brüssel zu delegieren und damit faktisch dem mächtigsten Mitgliedstaat führenden Einfluss auf die Streitkräfte zu gewähren. Den geringsten Beifall findet der Gedanke wohl in Großbritannien; dort kam die Vorstellung, nicht mehr eigenständig über Krieg und Frieden entscheiden zu können, noch nie gut an. Aber auch andere Staaten haben Bedenken: Die Kontrolle der eigenen Streitkräfte zählt zum Kernbestand staatlicher Souveränität. Und dann ist da noch die Frage: Wozu der Aufwand? Gibt es nicht schon die NATO? Muss man sich - zumal in Krisenzeiten - teure Doppelstrukturen leisten, wo man doch schon die erprobten NATO-Institutionen nutzen kann? Nun, genau das ist der springende Punkt: In der NATO und mit deren Strukturen kommt man an den USA nicht vorbei; in der EU jedoch gibt Deutschland den Ton an. Nur eine EU-Armee gewährt also, so haben es von der Leyen und ihr Pariser Amtskollege vor kurzem formuliert, »europäische strategische Autonomie«, eine von Washington wirklich unabhängige Machtpolitik.

Genau darum dreht sich das aktuelle Handgemenge in der EU. Außer Großbritannien sperren sich Staaten gegen die EU-Armee, die auch aus historischen Gründen die deutsche Übermacht fürchten: Litauen hat sich bereits erneut gegen einheitliche Streitkräfte ausgesprochen, Polen hält sich noch zurück. Die Bundesregierung versucht es also pragmatisch. Hat die NATO nicht seit jeher mehr europäischen Einsatz gefordert? Bauen wir also den europäischen Pfeiler der NATO aus, bilden wir ein europäisches Sanitätskommando, schaffen wir eine europäische Offiziersausbildung! EU-Armee? Davon spricht doch niemand!

Spätestens wenn Berlin, wie angekündigt, darauf bestehen wird, ein EU-Hauptquartier zu errichten, wird eben doch die Frage entschieden, ob die EU sich militärisch selbstständig macht. Auch wenn jetzt zunächst nur einzelne europäische Kommandos gegründet, nur einzelne Streitkräftekooperationen ausgebaut werden: Ob die Verbände, die das künftige Hauptquartier kommandieren würde, nun »EU-Armee« heißen oder nicht, ist letztlich egal. Worauf es ankommt, ist, dass die USA auf sie keinen Einfluss haben. Alles weitere, so lautet das Berliner Kalkül, wird dann die Macht des Faktischen regeln. Jedenfalls wird der Weg frei sein für eine eigenständige deutsch-europäische Weltpolitik - neben, auf lange Sicht vielleicht sogar auf Augenhöhe mit den USA.

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