Neuordnung der Gesellschaft in den Weiten des Alls
Halil Altindere entwirft im Projekt »Space Refugee« eine außerirdische Lösung der politischen Krise um Fluchtbewegungen
Kurdisch-türkische Künstler mischen die Postmoderne durch politische Kunst auf. Vor mehr als zehn Jahren brachen Semer Özmen und Erkan Özgen in dem frechen Video »Road to Tate Modern« aus den Bergen Kurdistans per Esel in den Londoner Kunsttempel auf. Da sind sie inzwischen angekommen. Mittlerweile hat die danach aufgeblühte Kunst- und Performanceszene in Diyabakir durch die aktuellen militärischen Auseinandersetzungen und die brutale Baupolitik des türkischen Staats in den Altstadtvierteln der kurdischen Metropole aber herbe Rückschläge erlitten. Mit einem extraterrestrischen Befreiungsschlag wartet nun Landsmann Halil Altindere im Neuen Berliner Kunstverein auf.
Altindere bricht gemeinsam mit dem ersten und bisher einzigen syrischen Kosmonauten Mohamed Faris ins Weltall auf. Altindere traf Faris in Istanbul, wo der frühere Fliegergeneral der syrischen Armee inzwischen lebt. Er drehte ein Video mit Vorträgen über die Raumfahrt, die Faris dort vor Kindern hielt. Er integrierte Interviews mit anderen Raumfahrtexperten, die über die Möglichkeiten und Bedingungen einer Reise zum Mars und einer Besiedlung des »roten Planeten« Auskunft geben. Aus diesem Material konstruiert Altindere mittels Objekten wie einem Marsmobil und Raumanzügen, einer Installation mit Sternentapete und Raumstation im »Mir«-Design sowie einem 3D-Film die Marsmission »Palmyra«. Wenn schon auf dem Erdball kein Platz für syrische Flüchtlinge ist, dann doch vielleicht im All, lautet die Botschaft.
Und so sieht man dann die syrischen Kolonisten über den Mars streifen. Sie erkunden Höhlen und bauen Siedlungen. Immer mit dabei das Mobil mit dem Logo »Palmyra«. Altindere knüpft auch an die Ästhetik des sozialistischen Realismus an. An einen Malerkollegen vergab er den Auftrag, Faris und seine damaligen sowjetischen Kosmonautenkollegen Alexander Wiktorenko und Alexander Alexandrow in Öl auf Leinwand in Heldenpose zu verewigen. Er vergrößerte Briefmarken, die zu Ehren des sowjetisch-syrischen Raumflugs entstanden, und entwarf eine ganz eigene Ruhmeshalle.
Das Projekt hat großen Schauwert. Es lenkt den Blick auf eine ganz aktuelle Problemlage und suggeriert in einem Ausfallschritt eine geradezu poetische Lösung: eine Neuordnung von Gesellschaft in den grenzenlosen Weiten des Alls.
Nimmt man Altinderes Vorschlag ernst, ist man allerdings schnell wieder in zahlreichen praktischen Problemfeldern gefangen. Sollen ausgerechnet syrische Flüchtlinge nun als Versuchskaninchen für wahrlich nicht ungefährliche Marsmissionen dienen? Welcher Technologien bedient man sich dabei? Der russischen etwa, die - als sowjetische - Faris überhaupt den Raumflug ermöglichte? Angesichts der Zerstörungen, die die russische Luftwaffe gerade jetzt in Faris’ Heimatstadt Aleppo anrichtet, ist das ein geradezu paradoxes Unterfangen. Nach Altinderes Auskunft ist der Kosmonaut und ehemalige Fliegergeneral auch sehr betrübt über die Verwüstungen, die der einstige Waffenbruder anrichtet. Faris’ Raumflugkollegen, mit denen er weiter in Kontakt stehe, sähen den russischen Syrieneinsatz ebenfalls kritisch, sagte Altindere im Gespräch mit »nd«.
Warum der syrische Volksheld, gewissermaßen der Sigmund Jähn der Arabischen Volksrepublik, sein Land verlassen hat, begründet Altindere knapp so: »Er stand 2011 vor der Entscheidung, auf seine eigenen Landsleute Bomben zu werfen oder das Land zu verlassen. Er hat seinen Weg gewählt.«
Das kosmische Geflüchtetenprojekt weist eine Vielzahl irdischer Bezüge auf. Halil Altindere entwirft einen faszinierenden Hoffnungsraum und spielt souverän mit vielen gesellschaftlichen, politischen und sozialen Herausforderungen der Gegenwart.
Eine weitere Arbeit von ihm war vor kurzem im und vor dem Hebbel am Ufer in Kreuzberg zu sehen. Unter dem Titel »Köfte Airlines« ließ der Künstler in der Türkei gestrandete Flüchtlinge ein Passagierflugzeug erklettern, das sich dank Bildmanipulation mit ihnen in die Lüfte erhebt.
»Space Refugee«. Bis 6. November im Neuen Berliner Kunstverein, Chausseestraße 128-129, Mitte
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