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Ramelow sieht Vorverurteilung nach Suizid in Schmölln

Christen in Schmölln wollen Zeichen für Mitmenschlichkeit setzen / Unterschiedliche Aussagen zur möglichen Anstachelung durch Anwohner

  • Lesedauer: 3 Min.

Drei Tage nach dem Suizid eines minderjährigen Flüchtlings im ostthüringischen Schmölln geht die Polizei nicht davon aus, dass ihn Anwohner zu der Tat aufmunterten. »Nach jetzigem Kenntnisstand ist das nicht der Fall«, sagte ein Sprecher der Landespolizeidirektion am Montag unter Berufung auf an dem Einsatz beteiligte Beamte sowie befragte Augenzeugen. »Diejenigen, die das am Anfang gesagt haben, konnten das in der Zeugenbefragung nicht mehr deutlich verifizieren.«

Nach dem Suizid kritisierte der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (LINKE) eine reflexhafte Verurteilung Ostdeutschlands. Das sei »bitter«, denn die Flüchtlingsarbeit im Freistaat sei sehr vorbildlich, sagte Ramelow am Montag gegenüber dem Deutschlandfunk: »Fremdenfeindlichkeit ist kein ostdeutsches Problem, sondern ein weit in Europa verbreitetes Problem.« Eine vorschnelle Verurteilung entstehe in sozialen Netzwerken, und Journalisten übernähmen das, ohne dass es jemand überprüfe. Nach dem Wochenende zeige sich nun, dass das Geschehen durchaus eine andere Entwicklung gehabt habe als zuerst gedacht, so Ramelow.

Nach dem Tod eines jugendlichen Schutzsuchenden in Schmölln hatten Berichte über eine mögliche Anstachelung zum Selbstmord durch Anwohner für Wirbel gesorgt. Die Polizei widersprach Medienberichten, wonach Schaulustige den Somalier mit Rufen wie »Spring doch« ermuntert haben sollen. Beamte vor Ort hätten solche Rufe nicht gehört, sagte der Schichtleiter im Landeseinsatzzentrum in Erfurt, Stefan Erbse, dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Die Rufe hätten sich auf den Zeitpunkt bezogen, als die Feuerwehr längst mit dem Sprungtuch da war, erklärte Ramelow. Daraus ergebe sich eine andere Logik. Dennoch müsse man jetzt nachfragen, warum der junge Mann wieder in der Wohngruppe war und beenden konnte, was er vorhatte, sagte Ramelow: »Es bleibt eine große Tragik.« Man habe den Selbstmord eines jungen Mannes nicht verhindern können.

Der junge Flüchtling war nach Angaben des Landratsamtes wegen psychischer Probleme in Behandlung. Erst am Freitag wurde er aus der Klinik entlassen.

Ramelow kritisierte auch Reaktionen unter seinem Twitter-Tweet zu Schmölln am Wochenende. Dort hätten Twitternutzer Kommentare wie »gut, dass er gesprungen ist« veröffentlicht. »Das ist das, was mich fassungslos macht«, sagte er. Die Verrohung gehe mit Smartphones einher, weil alle zu jeder Zeit alles filmen könnten.

In Gottesdiensten am Sonntag war dem Verstorbenen in Schmölln mit Kerzen und in den Fürbitten gedacht worden. Es sei immer tragisch, wenn ein Mensch keinen Ausweg mehr aus einer für ihn hoffnungslosen Lage sehe, egal, ob er schon immer hier in wohne oder er als Flüchtling nach Thüringen gekommen sei, erklärte der evangelische Regionalbischof von Gera, Diethard Kamm. Wichtig sei es jetzt, all jene, die sich in Schmölln vorbildhaft für die Integration der Zufluchtsuchenden einsetzten, zu ermutigen, fügte er hinzu.

Der evangelische Diakon Schmidt zeigte sich vom »Ausmaß der Unmenschlichkeit« im Zusammenhang mit dem Tod des jungen Mannes entsetzt. Vor allem die Reaktionen in den sozialen Netzwerken seien »unwürdig«, sagte der kirchliche Sozialarbeiter dem Evangelischen Pressedienst (epd). Besonders schlimm sei es, wenn Rechtspopulisten den Tod des jungen Mannes für ihre Zwecke missbrauchten. So wolle das rechtextreme Bündnis »Thügida« in Schmölln aufmarschieren. Das diskreditiere die Arbeit mit den Flüchtlingen, die seit zwei Jahrzehnten in der Stadt vorbildhaft laufe, noch zusätzlich, sagte Schmidt. epd/nd

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