Jobcenter fragte Schwangere nach Sexpartner

Umstrittenes Formular von Behörde in Stade nach scharfer Kritik zurückgezogen

  • Elsa Koester
  • Lesedauer: 2 Min.

Mit wem hatten Sie Sex? Nennen Sie Name, Vorname und Geburtsdatum der betreffenden Männer. Einen Fragebogen mit solchen Aufforderungen gab das Jobcenter im niedersächsischen Stade an eine schwangere Hartz-IV-Antragsstellerin zur Ermittlung des Kindesvaters heraus. Am Dienstag wurde das Formular zurückgezogen.

Bekannt wurde der Fall, weil der Anwalt der Betroffenen den Fragebogen Ende vergangener Woche auf dem Kanzleiblog »Hartz IV Widerspruch« veröffentlichte. Am Dienstag reagierte die Bundesagentur für Arbeit - und forderte das Jobcenter zur Rücknahme des Formulars auf. »Ein solcher Fragebogen ist absolut indiskutabel«, sagte eine Sprecherin gegenüber »nd«. »Wir hoffen, dass das Jobcenter jetzt Konsequenzen zieht.« Wenige Stunden später erklärte der Geschäftsführer des Jobcenters Stade, das Formular zurückzuziehen, und entschuldigte sich bei der Betroffenen. »Ich bin entsetzt, dass dieser Bogen überhaupt unser Haus verlassen hat«, so der Geschäftsführer. »Solche persönlichen Fragen dürfen wir nicht stellen.« Ein Mitarbeiter habe den Fragebogen erstellt und sich dabei an Fragen von Jugendämtern zur Ermittlung unterhaltspflichtiger Väter orientiert. Die Geschäftsführung habe erst am Donnerstag davon erfahren.

In dem Papier wurde die Antragsstellerin zur Bekanntgabe der vollen Namen von Sexualpartnern inklusive Geburtsdatum »während der gesetzlichen Empfängniszeit« aufgefordert - diese beträgt laut Bürgerlichem Gesetzbuch 181 bis 300 Tage vor dem Geburtstermin. In zwei weiteren Fragen wurde dazu aufgefordert, »ausführlich und nachvollziehbar« darzulegen, warum sie zu dem Kindesvater keine Angaben machen könne. Zudem sollte erklärt werden, welche »intensiven Nachforschungen« zur Ermittlung des Kindesvaters angestellt wurden.

Die Antragstellerin wurde darauf hingewiesen, eine »strafbare Handlung« zu begehen, wenn sie vorsätzlich falsche Angaben mache. Mögliche Strafen auf eine Angabenverweigerung sind nach der jüngsten Sanktionsverschärfung ein Bußgeld von bis zu 5000 Euro und im äußersten Fall sogar Erzwingungshaft.

Der Anwalt der Betroffenen, Jan Strasmann, hatte zunächst juristische Schritte angekündigt. »Die Selbstkorrektur des Jobcenters Stade durch Presseaufmerksamkeit hat unser Ziel schneller erreicht«, sagte Strasmann nach dem Rückzug des Formulars. Auf der Facebookseite der Hartz-IV-Kanzlei hätten sich jedoch weitere Betroffene solcher Fragen gemeldet. Strasmann kündigte an, dies zu prüfen.

Für die LINKE-Politikerin Cornelia Möhring ist der Fall nicht erledigt. Das Jobcenter zeige sich als »Raum der Rechtsfreiheit und Schikane«. Was bleibe, sei die »hässliche Fratze des diskriminierenden Hartz-IV-Systems«.

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