Fragen der Humanität, der Bildung, der Vernunft

Projekt «Flüchtlingsgespräche» beim Festival «Impuls» im Bauhaus Dessau

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Das «Impuls»-Festival für Neue Musik Sachsen-Anhalt, erfüllte seinen Namen allemal mit diesem Projekt. Erstens gab es sich selbst den Impuls, das Thema Flüchtlinge ins Programm zu setzen. Zweitens wählte es hierfür einen Künstler als Impulsgeber, der selbst Flüchtling gewesen ist und daran sein Dichtertum nährte: Bertolt Brecht. Dessen 1940/41 in Finnland geschriebene «Flüchtlingsgespräche» sollten jungen Komponistinnen und Komponisten Anregungen geben, auf Gedanken daraus gegenwartsbezogen zu antworten, sprich: Stücke auf Problem - und Gefühlslagen heutiger Flüchtlinge vorzulegen. Eine tolle Idee und schon vom Gegenstand her vielversprechend für alle Beteiligten.

Dass sie erfolgreich umgesetzt werden konnte, verdankt sich Annette Schlünz, gleichsam die Hauptimpulsgeberin. Sie entwickelte die Idee und leitete das Projekt künstlerisch. Eine Geeignetere hätte «Impuls»-Intendant Hans Rotman nicht finden können. Denn die renommierte Komponistin stammt aus Dessau, der Stadt, in der auch Kurt Weill geboren worden ist. Schlünz besuchte um 1975 die dortige Musikschule. Gleichzeitig lernte sie das Komponieren in der Kinder-Komponistenklasse des unvergessenen Hans Jürgen Wenzel in Halle. Über Wenzels seinerzeit geschichtlich einmalige Einrichtung - vor 40 Jahren ins Leben gerufen, das Festival erinnert in einem Konzert daran - kam sie mit Neuer Musik nicht nur in Berührung, sondern dieselbe fesselte sie.

Wenzels Herangehen dürfte sich auf eigene Projekte der Komponistin mit jungen Leuten übertragen haben. Liebevoll und unverkrampft schien ihr «Flüchtlingsgespräche»-Projekt auf den Weg gebracht und durchgeführt worden zu sein. Eines mit Werkstattcharakter, worin der Dialog zählt statt Schulmeisterei. Es habe ihr, sagte die Projekt-Leiterin, sehr viel Lust bereitet, mit den fünf jungen Leuten aus unterschiedlichsten Gegenden, von denen sie die meisten vorher nicht kannte, zu arbeiten. Ein jeder sei unerhört bei der Sache gewesen.

Wichtig, so enthüllten die Einführung und die Gespräche vor Aufführung der einzelnen Stücke, sei der enge Kontakt zwischen ihr und den Tonschöpfern gewesen, desgleichen die Mitsprache des Teams bei den Proben. Den Abend vor wenigen Tagen bestritten die Mitteldeutsche Kammerphilharmonie und Baritonist/Sprecher Alexander Knop unter dem jungen Dirigenten Aki Schmitt. Fünf Partituren mit Musik nicht länger als fünf bis zehn Minuten kamen zur Uraufführung.

Wohl keiner der Autoren hatte sämtliche «Flüchtlingsgespräche» Brechts gelesen. Die überwiegend verwendeten Texte stammten aus dem ersten «Über Pässe/Über die Ebenbürtigkeit von Bier und Zigarren/Über die Ordnungsliebe». Eigentlich sind das nur Zeilen, einzelne kurze Sätze, Wörter, Silben. Von Bier und Zigarre redet das Orchesterstück I von Samuel Walter aus Deutschland. «Bier ist kein Bier» in der Fremde. Ein Oboensolo drückt Schmerz aus. Choralhaftes stimmt an. Der verlorene Einzelne und die Masse. An dramatischer Stelle überschreit das Orchester die Worte des Sprechers.

Anders die Griechin Vasiliki Krimitza mit « Aegean Miniature ». Was ist der Besitz eines Passes gegen den Wert eines Menschen?« Hochexpressiv ihre Partitur. Flageoletts, Trillerketten, Glissandi führen hinauf und hinunter. Die Komposition schließt dunkel. Für die Chinesin Leyan Zhang aus Shanghai ist der Text von hoher Bedeutung. »Passive Liebe« heißt ihr Stück. Oboen - und andere Soli künden darin von Schönheit, in die sich Wut und Trauer mischen. Der Schluss von »Passive Liebe« exponiert die Frage »Was nehme ich als Vaterland?« Auf einem trauerdurchsättigten Streicherteppich spricht der Bariton laut mit zum Publikum gerichteten Finger: »Das nehme ich als Vaterland«. Das Stück »Fundus 2« des Deutschen Adrian Laugsch greift gleichfalls die Metapher des Passes auf. »Fundus 2« für Sprachrohr und Orchester klingt anfangs wie ein Marsch zur Registrierungsstelle, rhythmisch immergleich, öde, langweilig, nervend. Alsdann Extremismus, als würden Wachen vor Zäunen in die Menge schlagen: schrille Streicherfelder, percussive Elemente im Klavier, Bläser - und Schlagzeugattacken. Der Text aus dem Sprachrohr zerfällt immer deutlicher in Silben. Schlagkaskaden klettern immer höher, unendlich hoch, denn die Torturen gehen weiter, unendlich weiter. Das Stück bricht plötzlich ab. Eine hammerharte Zustandsschilderung.

Zuletzt die zweisprachige Arbeit »La soif de culture - der Bildungsdrang« von Krishvy Naëck aus Mauritius. Sie tippt Fragen der Humanität, der Bildung, der Vernunft an. Eine Theatermusik á la Strawinsky. Neoklassizistisch ihr Duktus. Forsch-rhythmisch wird das Problem von der »Unmöglichkeit, ein Mensch zu bleiben« in Satzstrukturen übersetzt.

Viel Beifall für dies so eindringliche wie nachdenkliche Projekt.

»Impuls«-Festival, noch bis zum 22.11.; www.impulsfestival.de

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