Azadi: Kurdisch für Freiheit

Der Prozeß gegen den Fußballer Deniz Naki in Diyarbakır wegen »Terrorpropaganda« wurde eingestellt

  • Alexander Isele
  • Lesedauer: 5 Min.

Update 11.30 Uhr: Verfahren gegen Naki in Türkei eingestellt
Istanbul. Das Verfahren gegen den Fußballprofi Deniz Naki in der Kurdenmetropole Diyarbakir ist kurz nach Prozessbeginn eingestellt worden. Der Staatsanwalt habe unter Verweis auf die Meinungsfreiheit selbst um eine Einstellung gebeten, teilte der Prozessbeobachter und Abgeordnete der Linkspartei, Jan van Aken, mit. Das Gericht habe dem stattgegeben. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft dem früheren Spieler des FC St. Pauli und des SC Paderborn Propaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK vorgeworfen und fünf Jahre Haft gefordert. Hintergrund waren Nachrichten, die Naki über Twitter und Facebook verbreitet hatte. Aktuell spielt er für den Verein Amed Sk aus Diyarbakir.

Van Aken wertete die Einstellung als Zeichen dafür, dass »der internationale Druck mal funktioniert hat«. »Deswegen wünsche ich mir, dass die Bundesregierung Taten folgen lässt, damit sich was ändert in der Türkei.« Am Prozess nahm auch ein Beobachter der deutschen Botschaft in Ankara teil.

Azadi: Kurdisch für Freiheit

Für die Prozessbeobachter aus Deutschland ist es eine lange Anreise ins südtürkische Diyarbakır. An diesem Dienstag beginnt dort der Prozess gegen Deniz Naki. Die türkische Staatsanwaltschaft wirft dem deutsch-türkischen Fußballer Unterstützung der pro-kurdischen Arbeiterpartei PKK vor. Neben Vertretern der Deutschen Botschaft in Ankara und deutschen Journalisten hat sich auch der Bundestagsabgeordnete der LINKEN Jan van Aken zum Prozess angekündigt - viel Aufmerksamkeit für einen Spieler der dritten türkischen Liga.

»Ich möchte Frieden, egal welche Nationalität oder Religion die Menschen haben«, sagte der 27-Jährige der »Tagesschau«, als die Anklage erhoben wurde. Bei Kurden würde es aber sehr schnell heißen, man sei Staatsfeind und sympathisiere mit der PKK. »Ich weiß aber, dass ich im Recht bin und habe daher keine Angst.«

Überraschend besiegte sein Klub, der Drittligist Amed Sportif Faaliyetler Kulübü, im Januar im Achtelfinale des Landespokals den Erstligisten Bursaspor. Auf Facebook widmete Naki den Sieg den Opfern der Militäroperation der türkischen Armee gegen kurdische Rebellen, »den Menschen, die in den 50 Tagen der Unterdrückung getötet oder verletzt wurden.« Seit Herbst 2015 flog die Luftwaffe vermehrt Angriffe auf kurdische Städte. Die Staatsanwaltschaft in Diyarbakır wertet Nakis Kritik an der Kurdenpolitik der Regierung als »Terrorpropaganda« - bis zu fünf Jahre Haft drohen dem Fußballer. In sieben Fällen soll er sich über Twitter und Facebook-Einträge für die PKK ausgesprochen haben. Seit er bei Amedspor spielt, hat sich Naki immer wieder zur türkischen Politik geäußert. Er kritisierte den Militäreinsatz im Südosten der Türkei, sammelt Spenden für die Opfer, reiste im Herbst vergangenen Jahres nach Cizre, eine Stadt, die vom türkischen Militär größtenteils zerstört wurde.

Deniz Naki ist in Düren in Nordrhein-Westfalen geboren. In seiner Jugend spielte er für Bayer Leverkusen, mit St. Pauli stieg er 2010 in die Bundesliga auf. Vor drei Jahren wechselte er in die Türkei, das Land seiner Eltern. Seit einem Jahr spielt er dort für Amed SK. Die Vereinsfarben des Klubs sind Rot-Weiß-Grün - die Farben Kurdistans. Viele der 15 Millionen Kurden in der Türkei betrachten den Klub als die kurdische Auswahl.

Amedspor, wie der Klub genannt wird, ist schon vom Namen her eine Provokation für türkische Nationalisten: Amed ist der kurdische Name für Diyarbakır. 1983 verbot das Militärregime die kurdische Sprache. Mit dem Amtsantritt Recep Tayyip Erdoğans als Premier vor 13 Jahren wurde das Sprachverbot gelockert, kurdischsprachige Radio- und Fernsehsender wurden zugelassen. Erst vor einem Jahr nannte sich der Klub, der die Betriebsmannschaft der Stadtverwaltung ist, von Diyarbakır Büyükşehir Belediyespor in Amed um.

Als Erdoğan an die Macht kam, schien er zunächst um Ausgleich mit den Kurden bemüht. Er ließ Friedensverhandlungen mit der PKK führen und Milliarden in die Wirtschaft im Südosten des Landes investieren. Als die prokurdische Partei HDP 2015 ins Parlament einzog, sah Erdoğan offenbar seine Macht gefährdet, verordnete Neuwahlen, bei denen die HDP Stimmen verlor. Ein Attentat von kurdischen Extremisten im Juli 2015, bei dem zwei Polizisten starben, nahm die Regierung zum Anlass, um die Friedensgespräche mit der PKK abzubrechen und zur Kriegspolitik der 1990er Jahre zurückzukehren. Seither bombardieren türkische Jets beinahe wöchentlich Stellungen der PKK im Nordirak. Der Krieg verlagerte sich auch in die kurdischen Städte der Türkei. Nach dem gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli steigerten sich die Repressionen gegen Kurden weiter. Erst vergangene Woche wurden die beiden Bürgermeister von Diyarbakır auf Geheiß der Regierung festgenommen und durch Zwangsverwalter ersetzt.

Der Angeklagte Naki weist den Vorwurf, er unterstütze die PKK, von sich: Er habe den Pokalsieg von Amed SK lediglich notleidenden Menschen in Kriegsgebieten gewidmet. Der Fußballer ließ verlauten, er rechne zwar mit dem Schlimmsten, werde aber vor Gericht erscheinen. »Ich weiß, dass ich nichts Falsches getan habe.«

Naki ist wegen seines Engagements einer der bekanntesten Fußballer in der Türkei. Bei Heimspielen von kurdischen Fans frenetisch gefeiert, wird er auswärts als »PKK-Bastard« und »Vaterlandsverräter« angefeindet. Nur der Klub Fenerbahçe und seine Fans zeigen sich solidarisch mit Amedspor. In einigen kurdischen Orten wie in Cizre wird kein Fußball mehr gespielt. Die Clubs haben sich aus den Ligen zurückgezogen.

Dem »Spiegel« erzählte Naki, seine Mutter habe ihn am Telefon angefleht, nach Deutschland zurückzukommen. Aus der ganzen Welt erreichen ihn Unterstützungsbekundungen, sein alter Verein St. Pauli lies in einem Freundschaftsspiel bis auf zwei türkische Spieler alle mit Nakis Namen und seiner alten Rückennummer 23 auflaufen. Viele im Verein hoffen, dass er nach Deutschland zurückkommt. Naki sagt aber, für ihn komme eine Flucht nicht in Frage.

Für seine kurdischen Landsleute ist Naki ein Held. Der 27-Jährige hat ein Tattoo von Che Guevara auf seinem Handrücken, er sagt, er habe von seinen Eltern gelernt »nicht zu schweigen, wenn Unrecht geschieht«. Auf seinem Unterarm steht »Azadi«: Das ist kurdisch und heißt: Freiheit.

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