Bundesregierung plant mehr Diskriminierung

Anhörung im Bundestagsausschuss verdeutlichte Kritik am geplanten Teilhabegesetz

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

Selbst der CDU-Abgeordnete Karl Schiewerling musste einräumen, dass er selten erlebt habe, dass ein Gesetzentwurf so heftig kritisiert wurde. Entsprechend groß war das öffentliche Interesse an der Anhörung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales zum neuen Teilhabegesetz. Da aber aus Sicherheitsgründen im Anhörungssaal offenbar nicht mehr als neun Rollstuhlnutzer zugelassen sind, konnten Dutzende Interessierte das Prozedere nur aus einem benachbarten Bundestagsgebäude verfolgen. Ein Gebärdendolmetscher stand trotz vorheriger Antragstellung durch den Ausschuss für die Live-Übertragung im Internet nicht zur Verfügung.

Einer der Hauptkritikpunkte am Entwurf betrifft die in Zukunft möglichen Einschränkungen des Personenkreises, die ein Recht auf Leistungen haben. In fünf von neun Lebensbereichen soll dann Unterstützungsbedarf nachgewiesen werden. Wer das nicht kann, fällt unter eine Ermessensregelung, was sogar hinter geltendes Recht zurückgeht. In der Anhörung nannte der Rechtsanwalt Oliver Tolmein dies nachteilig für die Betroffenen. »Ermessen ist nicht gerichtlich überprüfbar.« Die Behörden klärten nicht über Ansprüche auf, sie informierten schon heute vor allem dann nicht richtig, wenn sie Geld sparen können. Blinde und Gehörlose und weitere Gruppen könnten in Zukunft ohne Unterstützung bleiben - oder sie müssten sich eine zusätzliche Behinderung »dazudichten«, so einer der Experten.

Ungeachtet der allgemeinen Absicht, dass es im Bereich der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in Zukunft niemandem schlechter gehen dürfe, kann das nach dem Gesetzentwurf trotzdem eintreten. Die Gefahr besteht auch bei den sogenannten Poolen von Leistungen. Dies sollte, wenn überhaupt, nur in bestimmten Bereichen zulässig sein und dann auch nur mit Zustimmung der Betroffenen. Sinnvoll wäre die Zusammenlegung etwa bei Fahrdiensten zur Schule oder zur Werkstatt, eine Zumutung hingegen in Alltag und Freizeit.

Nachbesserungen wurden auch bei der Einkommens- und Vermögensanrechnung gefordert. Denn laut UN-Konvention ist der Nachteilsausgleich wegen einer Behinderung unabhängig von vorhandenen Mitteln zu leisten. Aktuell dürfen Behinderte, die von Grundsicherung leben, nur 2600 Euro auf dem Konto haben. Der Buchautor Janis McDavid kritisierte, dass auch mit dem geplanten Nachteilsausgleich für Menschen wie ihn ein weiterer Nachteil kreiert werde: »Er soll arm machen oder arm halten.« Das in Deutschland gern genannte Prinzip, wonach sich Leistung lohnen solle, träfe für Behinderte nicht zu. Die vollständige Aufhebung von Freigrenzen für den Bezug von Leistungen sei nicht nur die einzige Möglichkeit, die der UN-Konvention entspreche, sie bringe außerdem auch einen deutlichen Bürokratieabbau. Valentin Aichele von der deutschen Monitoringstelle für die UN-Behindertenrechtskonvention forderte einen verbindlichen Ausstiegsplan aus der Einkommens- und Vermögensanrechnung. Positiv bewertet wurde von Experten, dass in Zukunft die Ehe- und Lebenspartner mit ihren Gehältern und Sparguthaben nicht mehr herangezogen werden sollen.

Parallel zu der Anhörung kam es in Berlin rund um den Reichstag zu mehreren Protestaktionen, zu denen die Lebenshilfe, das Bündnis Ability Watch und der Bundesverband evangelische Behindertenhilfe aufgerufen hatten. 338 000 Menschen hatten zuvor eine Online-Petition für ein »Recht auf Sparen und für ein gutes Teilhabegesetz« unterzeichnet.

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