Ohne Rot-Rot gelingt kein Rosa-Rot-Grün

Die LINKE-Politiker Diether Dehm und Wolfgang Gehrcke über Chancen und Voraussetzungen eines linken, sozialen Politikwechsels

  • Diether Dehm und Wolfgang Gehrcke
  • Lesedauer: 9 Min.

Rot – das ist nicht das kreative Korbflechten von Minderheitsthemen, sondern zunächst ein Defragmentierungsprogramm für die aufgespaltenen Mehrheiten: «Seht, wie der Zug von Millionen….»

Rot – das heißt, laut Brecht, nichts Abgehobenes, sondern: «…das Allernächstliegende, Mittlere, Vernünftige.» (Die Gedichte; S. 505)

Rot – das heißt nicht Chaos, sondern Ordnung. Nicht taumeln und tänzeln, sondern neuen, festen Halt in Zeiten der Ängste und Bedrohungen auch für die breiten Massen, die weniger Umgang mit parteipolitischen Termini haben.

«Das Recht, wie Glut im Kraterherde, drängt zum Durchbruch» in sozialstaatliche Sicherheit, nicht in unverständliche Theoriegebäude aus emanzipationstheoretischer Bevormundung und Verzichtsrethorik. An und vom Gürtelengerschnallen haben die «kleinen Leute» genug! Wir Rote mobilisieren für ein Mehr an alltäglichem Glück. Besser essen, besser Wohnen, ja auch besserer Sex, jedes Genießen also bedarf eines besseren Lohn- und Zeitregimes im Alltag. Aus den kleinen Freuden der «kleinen» Leute, wird dann nicht ein Weniger, sondern für größer werdende Leute größere Freuden!

Den leeren Sicherheitsversprechungen von rechts, die sich nicht gegen Konzernbarbarei, sondern gegen Schwächere profilieren, setzen wir also nicht alleine den Beistand schutzbedürftiger Minderheiten entgegen. Sondern neue und erprobte rechtsstaatliche Sicherheiten (ja, am Grundgesetz halten wir felsenfest) von links gegen Altersarmut, für die Ausweitung der Tarifbindungen und die radikale Ablehnung militärischer Auslandseinsätze. Gegen asoziale Demagogie von innerer Sicherheit setzen wir allumfassende Sicherheit mit einem starken Sozialstaat und Abrüstung. Dafür muss öffentlich mobilisiert werden. Denn ohne Straße wird alles nichts!

Ist dabei die Erfahrung mit dem früheren Sozialstaat und der Friedenspolitik Willy Brandts ein neumodischer Grund, darauf zu verzichten? Oder: nicht lieber daran anzuknüpfen? Anstatt mit sinnarmen Wortlawinen von bedingungslosem Grundeinkommen, Euro-EUphorie und geheimnisvollen Kräften der Zivilgesellschaft die Vorstellungskraft der zu Mobilisierenden überzustrapazieren? Wen meint das neue Feindbild aus «alten, weißen Männern» bei Ska Keller (Grüne), Katja Kipping (Linke) und Jenna Behrends (CDU)? Etwa Jeremy Corbyn? Oskar Lafontaine? Bernie Sanders? Oder «Bildungsferne», die die Segnungen von Globalisierung und EU partout nicht kapieren wollen? Und welche Werktätigen giftet Migrationsbehördenchef Frank Jürgen Weise an mit: «ältere graue Herren…, die überall durch die Gegend laufen und langsam auf der Autobahn rumfahren»? Antirassistisch gefragt: kann Mann etwas für Geburt und Pigmentstatus? Im selben «Bild»-Beitrag (29.10.15) lobt Weise dagegen «Flüchtlinge als Bereicherung für den Arbeitsmarkt». Wie wörtlich meint der Bereicherung? Und für wen?

Didier Eribon kritisierte in seinem Bestseller das Abheben europäischer Linksparteien vom realexistierenden Proletariat. Owen Jones und Christian Baron schrieben gegen die «Dämonisierung der Arbeiterklasse». Für uns heißt das: jetzt begreifbare rote Vorstellungen von staatlich abbildbarer Sicherheit, persönlichem Glück und eigenem Zeitregime gegen nationalistische Herrenmensch-Verheißungen noch populärer zu machen. Und gleichzeitig politisch-korrekte Bevormundung zu kritisieren. Wer mit elitären Hunden zu pinkeln verspricht, verschweigt, dass die Kleineren dabei stets ein Bein heraus gerenkt bekamen.

Große Mehrheiten stimmen in vielen Fragen des Sozialstaats, der Renten und Löhne sowie des Friedens mit Russland mit uns überein. Aber sie fürchten um feste Bezugspunkte bei all den elitären, politisch korrekten, grünlichen Irrlichtern! Deswegen kann Rosa-rot-grün gegenwärtig auch kein ausstrahlungsfähiges Lager werden. Zumindest, bevor nicht zunächst das Rote «an und für sich» in der Republik neuen Halt und neue Kraft ausstrahlt. Auch, wenn das rosagrünliche Umerziehungsgehabe noch so mediengestützt daherkommt – es wird weder die Mehrheit der AfD- noch der Nicht-Wähler für eine lebendige Demokratie zurückgewinnen. Wir sehen es an den USA: Die Demokraten haben verloren, auch weil sie glaubten, Gewinner zu bleiben - alleine gestützt auf Wallstreet, Elitemedien, Meinungsforscher und Diktaten von political Correctness. Aber dabei die Arbeiterklasse und die unteren Mittelschichten einigermaßen kampflos den Rechten überlassen haben. Hier wissen wir uns mit Friedrich Merz (CDU) einig: Bernie Sanders hätte Trump wahrscheinlich geschlagen. Sich dagegen nun mit den hiesigen Eliten in einer Art Notbündnis zusammenzutun, welches kein rotes Zentrum um einen wieder erstarkten Sozialstaat und Abrüstung hat, wäre für die Linke jedenfalls lebensgefährlich. Vor allem wir müssen und können ein demokratisches Bündnis mit Erwerbslosen und Erwerbstätigen jetzt neu beleben.

Nun ist in Deutschland «Rot» in der Mehrheit der Linkspartei, in einer immer noch deutlich erkennbaren Minderheit in der SPD und in den Einheitsgewerkschaften des DGB, in Einsprengseln sogar bei Grünen und CDU zu finden. Aber so findet es gesellschaftlich nicht zusammen. Weil es, bei allen punktuellen Mehrheiten, durch parlamentaristische, parteibornierte Grenzziehungen entzweit ist. Hier muss zuerst ein gemeinsamer sozialer Aufbruch gelingen. Und zwar deutlich bevor neue Regierungsphantasien ins Kraut schießen.

Zunächst heißt das: Rot-Rot – «Sozialstaatler» mehrerer Parteien - müssen sich auf wenige Kernpositionen einigen. Wir schlagen zunächst nur zwei vor: Tariflohn- und Rentenerhöhung, Schluss mit Freihandelsdiktaten und NATO-Säbelrasseln. Denn ohne Rückkehr zur Friedenspolitik von Egon Bahr und Willy Brandt kommt die SPD auf keinen roten Zweig. Und sowas liegt auch an uns, außerparlamentarisch, mit Künstlern und Wissenschaftlerinnen, auf Sendern und Marktplätzen dem Sozialstaat eine rote ausstrahlungsfähige, kulturelle Meinungsführerschaft zu erarbeiten.

Wir schlagen den Sozialdemokraten vor, den DGB aktuell bei seiner Kampagne gegen Altersarmut gemeinsam und mehr zu unterstützen. Unsere Renten-Vorschläge sind dabei durchdacht und gerechnet. Aber dazu muss Rot-Rot ins «Freie treten» (Hölderlin), damit ein Ruck durchs Land geht. Von unten – und keinesfalls elitär! Rosa-rot-grünliche Hinterzimmertreffen, auch wenn sie parlamentarisch aufgemotzt werden, vermögen eine neue Ausstrahlung da eher nur zu verwirren.

Die Grünen sind politisch zerrissen. Ihr Lifestylemodell hatte für Wenigerverdienende wenig im Gepäck. Ihre Favoritenstellung bei großen Leitmedien täuscht über ihre elitäre Verortung nicht hinweg. Diese Pressebegünstigung von oben genießen Grüne zudem nur, solange sie gegen Rot-Rot anstinken. Würden sie sich wieder der Steuerpolitik eines Jürgen Trittin zuwenden oder ihrem Mitglied Frank Bsirske, würden sie aufhören mit der antirussischen NATO-Einpeitscherei einer Marie Luise Beck, würde ihnen das bei «taz», «FAZ», «Welt» und ZDF gar nicht gut bekommen. Grüne sollen (wie J. Ditfurth und einige Linke) instrumentalisiert werden, um Anti-NATO- und sogar TTIP-Demonstranten als «nationalistisch» zu «shitstormen». Oder um Regime-Change in Syrien und Libyen als «adopt-the-revolution» zu preisen. Sich also im antideutschen Snobismus auszutoben, wo statt Kämpfen «von unten»: politisch correcte Bevormundung steht.

Für solcherlei Umerziehung «von oben», wie für anderes Gelingen und Scheitern, gibt es in der Geschichte von Linken überprüfbare Blaupausen. Sogar die sympathischen Anläufe der Weimarer Linken, vor und mit dem Sozialismus, schnell einen «neuen Menschen» (Hoernle, Löwenstein, Max Adler) herzustellen, löste bei den Umzuerziehenden nur begrenzte Begeisterung aus. Nicht einmal August Bebels Sittengebot, ein denkender Arbeiter trinke nicht und ein trinkender Arbeiter denke nicht, war kaum nachhaltiger Erfolg beschieden.

Die KPD versuchte in den Zwanzigern, vorbei an realgespiegelten Nationalitäten, Internationalismus in Szene zu setzen. Daraus wurde eine besonders «avantgardistische» Freundschaftsgeste an die Völker der Welt: «die Bolschewisierung der KPD» und die Wahlforderung nach «Sowjetdeutschland». Erst, als die Parteiführung registrierte, wie viele Hasen sie damit Hitler in die Küche getrieben hatte, beendete sie 1931 diesen Kurs, freilich zu spät und teilweise auch nur mechanisch. In der DDR blühte ähnlich hölzerne Umerziehung zum Leidwesen von Brecht, Harich und Kuczynski dann wieder auf. Es gab «hilflosen Antifaschismus» (W.F.Haug) nicht nur in westdeutschem Sozialkundeunterricht, sondern auch in der DDR. Die allerdings hatte endlich die Finanziers des Faschismus entmachtet.

In den Siebzigern entstand eine linke Hinwendung zu Gramscis Begriff der «kulturellen Hegemonie». Das war erst einmal ein großer Fortschritt, auch wenn Gramsci oft auf die Ästhetik des Überbaus reduziert wurde. So, als ob der neue Mensch herangezogen werden könne aus möglichst viel antiautoritärem Kindergarten und gegenstandsloser Kunst. Als dann aber die Streikenden bei den ersten wilden Arbeitsniederlegungen in «Hoesch» und «Klöckner» auf das Schunkellied «So ein Tag, so wunderschön wie heute» zurückgriffen, war die Enttäuschung bei den Spontis groß. Während die weitsichtigeren Kommunisten Dieter Süverkrüp, Hannes Wader und Franz Josef Degenhardt auf die Kämpfenden zugingen, zusangen - und schließlich bei Phrix-Soli-Konzerten auch zugejubelt bekamen.

Heute noch vermitteln rosagrünliche Leitmedien eine Art Exorzismus, den «Bildungsfernen» - vor und statt sozialen Kämpfens - erstmal von oben alle Spurenelemente von schlechtem Geschmack, Sexismus, Phobien und Heimat austreiben zu wollen. Aber: hatten wir nicht erlebt, wieviel Ausländerfeindlichkeit in und während gemeinsamen Streikpostenstehens überwunden werden kann? (Natürlich nicht als Selbstläufer!) Wie viel Antikommunismus im gemeinsamen Kampf gegen Atomraketen? Und: wie viel Sexismus und Frauenfeindlichkeit wurden bei «Rock gegen rechts» unschädlicher gemacht? Eine nachhaltige Änderung von Einstellungen ist nur von unten optimierbar. Emanzipation als im Aufbegehren gedachte und gemachte Selbstermächtigung. Denn sie bedient sich nicht zuerst der herrschenden Medien, des Drucks «von oben» oder des Facebook, sondern neuer Vertrauensbeziehungen «von unten», die in realen, sozialen Auseinandersetzung mit Monopolkapitalien wachsen.

Gramsci selbst hatte darauf beharrt, kulturelle Hegemonie sei nicht nur im Überbau, sondern in sozialen Kämpfen zu erreichen, wo Menschen sich in und mit den Verhältnissen ändern. Wer aber anstelle des Kampfs für gleichwertige Arbeit nur ein Gendern setzt, wird schnell als Schickeria ausgemacht. Daniela Dahn hat in «Ossietzky19» mit köstlicher Prägnanz dem GenderInnen-Verdikt des Frauenplenums der Linkspartei, entgegengehalten: «Wegen ungünstiger Witterung ist die westdeutsche Frauenemanzipation in die Grammatik verlegt ... zu einer weitgehend linguistischen Angelegenheit geworden. ... Mir war es lieber, eine DDR-Frau sagte ‘Ich bin Traktorist’, als dass sie, klüger geworden, gleich nach der Wende bedauerte: »ich war Traktoristin.«

Wir denken da auch an den sorgenvollen Brief von Bernstein an Wilhelm Liebknecht, dass möglicherweise von vielen neugewählten Arbeitern im Reichstag 'mir und mich' verwechselt würde. Die tröstende Antwort von Wilhelm Liebknecht, dies wäre unangenehm, aber nicht so schlimm, so lange die Arbeiter und ihre Partei »das Mein und Dein« auseinanderhalten.

Macht sich die LINKE mit elitärer Bevormundung verwechselbar, hat sie verloren – an Glaubwürdigkeit und Ausstrahlung. Sucht sie in anderen Parteien und Kräften rot-rote Verbindungslinien, könnte durch konkrete sozialstaatliche Verbindlichkeit echte Bewegung, wie einst für die Brandtsche Friedenspolitik, anwachsen. Nur in Bewegung können Mutlose zurückgewonnen, gehalten und gegen rechte Demagogie resistent werden.

Wer für diese Menschen und deren materielle Verbesserung den Staat verändern möchte, muss eine Bundesregierung des sozialen Aufbruchs nachhaltig auf mindestens zwei Legislaturen anlegen! Aber ohne neue Meinungsführerschaft würde eine rosa-rot-grüne Bundesregierung bereits nach zwei Jahren gestürzt. Dazu genügte ein simpler Medienputsch. Karl Liebknecht hat die Folgen auf den Punkt gebracht: »Auf eine halbe Revolution folgt eine doppelte Konterrevolution!«

Diether Dehm ist Bundestagsabgeordneter der Linkspartei und Schatzmeister der Europäischen Linkspartei. Wolfgang Gehrcke ist Stellvertretender Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag.

Lesen Sie dazu auch die anderen Beiträge in dieser Debatte:

>> Vorwärts: Wir brauchen eine Politik für morgen (Alexandra Wischnewski, Kerstin Wolter)

>> Let’s #FeelTheBern: Mit der LINKEN (Moritz Warnke)

>> An Trump sind nicht die Pussys schuld (Elsa Koester)

>> Die Klasse und die LINKE einen statt spalten! (Ralf Krämer)

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