Immer weniger Welt im Weltgericht

Auch Russland erklärte den Rückzug aus der Justizbehörde in Den Haag

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine Klage der Ukraine gegen Russland wegen Annexion der Schwarzmeerhalbinsel Krim liegt dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag bereits seit September 2015 vor, blieb bisher aber folgenlos. Der Grund: Die Kompetenzen des Internationalen Strafgerichtshofs, der 2002 seine Tätigkeit aufnahm, regelt das Römische Statut. Ende der 90er Jahre von der internationalen Gemeinschaft verabschiedet, tritt es etappenweise in Kraft. Der Straftatbestand Aggression und dessen Spielarten - darunter Annexion - können daher erst ab 2017 verhandelt und geahndet werden. Chefanklägerin Fatou Bensouda sieht die Zulassungskriterien jedoch als erfüllt an.

Der Anschluss der Krim an Russland, heißt es in einem vorläufigen Bericht, den Fatou Bensouda am Dienstag vorlegte, sei im Ergebnis eines bewaffneten internationalen Konflikts erfolgt. Ein solcher liege auch dann vor, wenn es, wie im Fall der Krim, nicht zu bewaffnetem Widerstand kam. Gemeint war die Tatsache, dass Kiew nach dem Anschluss an Russland seine Truppen und Schiffe auf das Festland abzog. Entscheidend sei, so der Bericht der Chefanklägerin, ob eine der beiden Konfliktparteien das Gebiet der anderen oder Teile davon okkupiert habe. Dieser Tatbestand sei erfüllt. Bei den Soldaten ohne Erkennungszeichen, die am 26. Februar 2014 erstmals auf der Krim gesichtet wurden und kurz danach Regierungsgebäude und Parlament in Simferopol besetzten, habe es sich um russische Militärangehörige gehandelt. Kremlchef Wladimir Putin, der das zunächst bestritt, habe das später selbst zugegeben. Die Endfassung ihres um neue Beweismittel ergänzten Berichts will Fatou Bensouda, 55-jährige Juristin aus Gambia und seit 2012 Chefanklägerin, 2017 vorlegen. Ob es zur Anklage kommt, ist ungewiss.

Um jenen Punkt zu aktivieren, der ein Verfahren wegen Annexion zulässt, ist zunächst eine interne Abstimmung der Haager Richter erforderlich. Stimmen sie zu, muss die Entscheidung von mindestens 30 der zurzeit 90 Vertragsstaaten ratifiziert werden. Vor allem aber: Recht, auch internationales, gilt nicht rückwirkend. Die Ankläger sehen dennoch Chancen. Die Besetzung dauere an, in deren Ergebnis seien 19 000 Menschen, vor allem die krimtatarische Minderheit, in andere Regionen der Ukraine migriert und damit zu Kriegsflüchtlingen geworden.

Dazu kommt, dass Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht verjähren. Einschüchterungen und Verfolgungen wie auf der Krim fallen zwar nicht unter diesen Tatbestand, könnten jedoch relevant werden, wenn das Gericht sich mit den Kämpfen in den pro-russischen »Volksrepubliken« befasst. Das Kiewer Außenamt hatte gegen Russland wegen Krim und Ostukraine im Paket geklagt, das Gericht in Den Haag untersucht die Vorwürfe getrennt.

Moskau hat das Römische Statut zwar unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. Urteile des Internationalen Strafgerichtshofs sind daher für Moskau nicht bindend. Der Schaden für den international ohnehin ramponierten Ruf Russlands wäre jedoch ein gewaltiger.

Der Chef des Auswärtigen Duma-Ausschusses, Leonid Slutzki, war dennoch die Gelassenheit in Person und nannte den Bericht der Haager Chefanklägerin bei Radio Echo Moskwy einen PR-Gag, provoziert von den USA. Die Antwort werde durch eine Erklärung des Außenministeriums erfolgen.

Der Mann irrte sich fundamental. Staatspräsident Putin selbst zog die Causa am Mittwoch an sich und verfügte den Austritt aus dem Abkommen zum Internationalen Strafgerichtshof. Dieser, heißt es in einer Note, die das Außenamt an UN-Generalsekretär Ban Ki Moon schickte, sei befangen und habe daher die in ihn gesetzten Erwartungen nicht gerechtfertigt.

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