London Calling

Heute vor 100 Jahren starb der Schriftsteller Jack London. Bekannt ist er vor allem als Autor von Abenteuerromanen

  • Jörn Schulz
  • Lesedauer: 4 Min.

Am liebsten hätte man sich selbst auf den Weg nach Klondike gemacht, obwohl man ja auch als Zehnjähriger schon wusste, dass der Goldrausch lange vorbei war. Aber der »Ruf der Wildnis« war nun mal reizvoll. Später, als erwachsener Linker, konnte man einen anderen Jack London entdecken: den Sozialisten, der über Kinderarbeit und aus der Perspektive des Jahres 2632 über die kapitalistische Diktatur der »Eisernen Ferse« schrieb. Der Amerikanist Alfred Hornung hat nun eine Biografie veröffentlicht, die diese beiden und weitere unbekanntere Jack Londons - etwa den Ökologen, aber auch den Rassentheoretiker - vorstellt.

In den Abenteuerromanen, die wie viele Werke Londons starke autobiografische Züge tragen (so begab er sich tatsächlich auf eine erfolglose Goldsuche), geht es nicht zuletzt um männliche Selbstbehauptung. Ohne Aufstiegswillen und eiserne Disziplin hätte der in Armut aufgewachsene London nicht Schriftsteller werden können, auch über Kinderarbeit schrieb er aus eigener Erfahrung. Unter den damaligen Bedingungen hätte ihm die Fabrikarbeit nur ein frühes Siechtum beschert, weswegen er beschloss, sich seinen Lebensunterhalt um jeden Preis durch andere, und sei es kriminelle Tätigkeiten zu verdienen. So war er etwa auch Hobo und Dieb. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts boten die mehr und mehr Verbreitung findenden Massenmedien, deren Leser nach Exotischem und Abenteuern gierten, ihm eine Chance, wenige Jahre später »galt er als der erfolgreichste amerikanische Schriftsteller«, so Hornung. Er widmete sich der Kopfarbeit mit Fabrikdisziplin und erlegte sich ein Soll von 1000 Wörtern pro Tag auf, so dass er bis zu seinem Tod in 18 Jahren 50 Bücher, fast 200 Kurzgeschichten, einige Dramen sowie zahlreiche Reportagen und Essays (die er selbst am höchsten schätzte) veröffentlichte.

Anfangs neigte London dazu, sich als »Übermenschen« im Sinn Nietzsches zu betrachten, auch der Sozialdarwinismus faszinierte ihn, und als Berichterstatter im japanisch-russischen Krieg stellte er rassentheoretische Überlegungen an (»Die gelbe Gefahr«). Doch er entschied sich für die Solidarität und den Sozialismus, mehr und mehr auch für eine internationalistische Haltung, wenngleich seine Ansichten zu »Rassenfragen« ambivalent blieben. Offenbar ließ es ihm keine Ruhe - die Überlegung taucht in verschiedenen Versionen mehrfach in seinem Werk auf -, dass in einem System mit so hoher Produktivität wie dem US-Kapitalismus viele Millionen Menschen schlechter lebten als Indigene wie etwa die Inuit, die mit dem vorliebnehmen mussten, was die unwirtliche Natur hergab.

Die Wildnis und die dort lebenden Menschen faszinierten London zeitlebens, darüber hinaus befasste er sich mit Formen der Landwirtschaft, die man heute als ökologisch bezeichnen würde. Sein eigenes Leben führte er jedoch alles andere als nachhaltig. Die Spätfolgen von Krankheiten und Strapazen, nicht zuletzt exzessives Trinken (in seinem 1913 publizierten autobiografischen Roman »König Alkohol« führt ihn dies zu der Schlussfolgerung, das von ihm nur unwillig akzeptierte Frauenwahlrecht sei nützlich im Kampf gegen die Trunksucht) ruinierten seine Gesundheit; er starb im Alter von nur 40 Jahren.

Hornung stellt nicht nur anhand zahlreicher Zitate aus Londons Werken die geistige Entwicklung des Schriftstellers dar, er setzt sie und den Autor auch in den Kontext einer US-Gesellschaft, in der sich damals eine rabiate kapitalistische Oligarchie und eine sich langsam entwickelnde sozialistische Arbeiterbewegung gegenüberstanden. Seinen Bemerkungen über die Aktualität Londons ließe sich eine hinzufügen. Teils aufgrund seiner Persönlichkeit, teils zeitbedingt blieben viele Ansichten Londons aus heutiger Sicht ambivalent. Zweifellos aber ist der Arbeiterintellektuelle London unter schwierigeren Bedingungen einen gänzlich anderen Weg gegangen als jenen, der derzeit so oft als unvermeidlich für »weiße Arbeiter« angesehen wird: Solidarität statt Selbstbehauptung als weißer Mann. Empathie spielte dabei sicher eine Rolle, aber auch eine Eigenschaft, die im »Informationszeitalter« zu verkümmern scheint: Neugier. London wäre nie auf die Idee gekommen, sich gegen fremde Menschen oder Einflüsse abzuschotten. Er war sich sicher, dass es hinter dem Horizont - dem geografischen wie dem eigenen geistigen - etwas zu entdecken gibt, das die Anstrengung einer Entdeckung lohnt.

Alfred Hornung: Jack London. Lambert Schneider Verlag, geb., 320 S., 24,95 €.

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