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Liebe in vielen Nuancen

Anton Hansen Tammsaare lässt Sehnsucht und Vernunft aufeinandertreffen

  • Monika Melchert
  • Lesedauer: 4 Min.

Irma, ein junges Mädchen vom Lande, Tochter einer armen Kätnerin, hat als Beste ihres Jahrgangs das Abitur bestanden und erwartet vom Leben mehr als das trostlose Dasein ihrer Mutter. Sie geht in die Stadt, um etwas aus sich zu machen und das große Glück zu finden. Was sie findet, liegt tatsächlich jenseits des banalen Alltags. Als Haushälterin eines wohlhabenden Junggesellen entdeckt sie die Liebe.


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* Anton Hansen Tammsaare: Das Leben und die Liebe. Roman. A. d. Estn. v. Irja Grönholm. Nachw. v. Cornelius Hasselblatt. Guggolz Verlag. 534 S., geb., 24 €.


Der Mann ist doppelt so alt wie sie und hat eine bewegte Vergangenheit, doch als dieses unverdorbene, junge Mädchen in seine Nähe kommt, hofft er, sie könne ihn läutern und wieder der Freude zurückgeben. Er überschüttet sie mit teuren Geschenken, macht ihr einen Antrag, und sie wird die Ehefrau des Kaufmanns Rudolf Ikka. Erst allmählich erkennt Irma, dass sie viel stärker liebt als er, ja dass Rudolf, der ein Lebemann ist und die Frauen wechselt wie das Hemd, eigentlich gar nicht wirklich lieben kann.

Der estnische Schriftsteller Anton Hansen Tammsaare (1878-1940), der ebenfalls vom Land stammte, hat sich vom Bauernjungen zu einem belesenen, gebildeten Autor entwickelt und lebte ab 1919 in der Hauptstadt Tallinn. Im deutschen Sprachraum wurden in den dreißiger Jahren zunächst Teile seines mehrbändigen Romanwerks »Wahrheit und Recht« bekannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg erschienen zwei Bücher von ihm in der DDR: »Der Bauer von Körboja« (1958) und »Satan mit gefälschtem Pass« (1959). Der Roman »Das Leben und die Liebe«, im Original erschienen 1934, liegt jetzt erstmals auf Deutsch vor - aus dem jungen Berliner Guggolz Verlag, der es sich auf die Fahne geschrieben hat, ältere Bücher dem Vergessen zu entreißen und auch die Literatur aus eher entlegenen Regionen Europas zugänglich zu machen. Tammsaare, dessen Werke heute in mehr als dreißig Sprachen übersetzt sind, ist einer, den es bei uns zu entdecken lohnt. In ruhiger, geschliffener Sprache erzählt er von seinen Figuren, versucht sie von innen heraus zu verstehen.

Es ist eine Geschichte, in der scheinbar nicht viel Aufregendes geschieht und man anfangs zu wissen glaubt, was daraus wird. Am Ende aber kommt es dennoch anders. Das Ehepaar dialogisiert viel zu oft über seine Verbindung; der Mann als der Erfahrenere will seiner jungen Liebsten, seinem »lieben Heimchen«, beibringen, wie das Leben und die Liebe sei - doch Irma ist durchaus klug genug zu begreifen, dass ihr Mann sich im Grunde vor großen Gefühlen fürchtet. Als sie in der Stadt nicht glücklich werden, kauft er das Landhaus Sooniku. In der ursprünglichen Natur soll ihre Liebe gesunden; es werde nur noch Zukunft geben, keine Vergangenheit mehr. Irma will lieben mit Haut und Haaren, ohne Rückversicherung, ohne Vorbehalte, wie in einem Rausch. »Solange wir lieben, solange wir imstande sind zu lieben«, sagt Rudolf ihr, »dauert das Leben, jenseits der Liebe ist nichts mehr. Endet die Liebe, dann endet auch das Leben.« Er will als der Vernünftige erscheinen, der seiner Frau das Überschwängliche auszutreiben sucht.

Doch da stoßen zwei Lebenskonzepte aufeinander, die nicht zueinander passen. Denn die Sehnsucht, die sich in Irmas Herzen staut, diese Enge und das Ziehen in der Brust, ist Ausdruck eines unbenennbaren Verlangens. Sehnsucht nach Ewigkeit ist die Triebfeder jeder wahrhaftigen Liebe: Es muss etwas geben, das uns Dauer verleiht. Beeindruckend ist die Fülle der Worte und Ausdrucksnuancen, die der Erzähler für den Zustand des Liebens findet: Was jemand denkt, fühlt und fürchtet, der einen anderen Menschen mit aller Kraft liebt. Schließlich endet der Roman doch viel dramatischer, als man erwartet hätte. Das Leben schlägt zuweilen merkwürdige Umwege ein, um an einem neuen Anfang anzukommen, der viel glücklicher zu werden verspricht.

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