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TiSA könnte zum Datenschutzproblem werden

Greenpeace warnt vor massiven Sicherheitsrisiken für Zivilgesellschaft durch Dienstleistungsabkommen

  • Florian Brand
  • Lesedauer: 5 Min.

Greenpeace hat an diesem Freitag erneut eine Reihe von vertraulichen Dokumenten aus den aktuellen Verhandlungen um das Trade in Services Agreement (TiSA) veröffentlicht. Dabei handelt es sich neben fünf Anhängen an das geplante Abkommen auch um jeweils ein Papier, dass die Transparenz des Agreements regeln soll, als auch um eins zu Telekommunikationsdienstleistungen, wo »wichtige Datenschutzbestimmungen berührt werden«, sagte der Handelsexperte von Greenpeace, Jürgen Knirsch, am Freitag. In den Unterlagen würden Unternehmen weitrechende Rechte und Einflussnahmen zu Lasten der Verbraucher und des Datenschutzes eingeräumt.

Grundsätzlich sei es zu begrüßen, dass es überhaupt ein Transparenzpapier zu diesem Abkommen gebe, sagte Knirsch. Fragwürdig sei jedoch, wem dieses zu Gute käme. Das Papier räumt sogenannten interessierten Personen das Recht ein, über Änderungen in dem Abkommen informiert und diese kommentieren zu können. Greenpeace befürchtet jedoch, dass diese Möglichkeit der Einflussnahme lediglich von Industrie- und Lobbyverbänden genutzt werden könne, da eine vollständige Einsicht aller TiSA-Unterlagen bei mehreren tausend Seiten Umfang für Privatpersonen schlicht unmöglich sei. »In der Realität funktioniert diese Form der Transparenz nur in eine Richtung, nämlich die der Dienstleistungsindustrie«, so Knirsch.

Laut Netzaktivist Markus Beckedahl birgt das Dienstleistungsabkommen aber noch weitaus größere Gefahren. Er befürchtet nicht nur eine weitere Aushöhlung des Datenschutzes, wie es ohnehin bereits durch Unternehmen wie Facebook und Whatsapp massenhaft stattfindet. Auch die Regeln der unlängst durch die EU-Regulierungsbehörde festgelegte Netzneutralität könnten durch das Abkommen massiv unterminiert werden, so der Gründer und Chefredakteur von Netzpolitik.org.

Konkret geht es etwa um minimale Formulierungen mit maximaler Wirkung, beschreibt seine Kollegin Anne Biselli. So wolle etwa die EU ein Gebot von »nicht-diskriminierendem Netzwerkmanagement« verankern. Die USA hingegen wollten diese Beschränkung nur mit dem Label »begründet« versehen – eine Formulierung, die für findige Internetkonzerne Tür und Tor der Kreativität zur Umschiffung dieses Paragraphen öffnen dürften.

Ganz konkrete Sicherheitsrisiken für die Bevölkerung sieht Beckedahl bei dem mittlerweile modifizierten Artikel sechs, nachdem Anbieter nicht mehr den Quellcode ihrer Software vor Staaten preisgeben müssten, selbst wenn ihre Programme in sogenannter kritischer Infrastruktur eingesetzt werden. Eine frühere Version dieses Artikels hatte solche Ausnahmen noch eingeschlossen.

»Die kaufen letztlich die Katze im Sack und haben nicht mehr die Möglichkeit festzustellen, was sie sich da reinstellen, was ihre Gesellschaft am Leben erhält«, sagte Beckedahl am Freitag. Durch eine derartige Einsicht könnte beispielsweise verhindert werden, dass Hintertüren oder Schadsoftware durch fremde Hände in sensible Bereiche des alltäglichen Lebens eingeschleust werden.

Nicht erst seit Edward Snowden sei bekannt, dass diese Praxis unter anderem durch fremde Geheimdienste regelmäßig Anwendung finden, sagte der Netzaktivist im Hinblick auf einen Vorfall im Kernkraftwerk Gundremmingen in Bayern vor einigen Monaten. In dem Kernreaktor war Schadsoftware entdeckt worden, deren Herkunft bisher unbekannt ist. Es könnte durchaus sein, dass diese im Quellcode der Anlage bereits enthalten war, mutmaßen Experten. Sicher sind sie sich bislang aber nicht.

Zwar hatte es in diesem Fall keine akute Bedrohung des Personals oder der Bevölkerung gegeben, doch jener Vorfall zeigt ebenso, wie Angriffe des Computerwurms Stuxnet - der vor mehreren Jahren das iranische Atomprogramm zeitweise lahmlegte belegen - wie fragil mittlerweile die digitale Zivilgesellschaft ist.

Ob und wann das geplante »Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen« zwischen den 51 Staaten, darunter den USA und Ländern der EU, abgeschlossen wird, ist derzeit unklar. Ursprünglich sollte TiSA im Dezember als völkerrechtlicher Vertrag vereinbart werden. US-Wahlsieger Donald Trump hatte jedoch angekündigt, an seinem ersten Tag als US-Präsident aus dem transpazifischen Handelsabkommen TPP auszusteigen. Das Freihandelsabkommen TTIP zwischen den USA und der EU liegt ebenfalls auf Eis. Und eine am 5. und 6. Dezember in Genf geplante Konferenz der Wirtschaftsminister, auf der TiSA verabschiedet werden solle, wurde abgesagt.

Markus Beckedahl, Gründer von netzpolitik.org, erklärte, er gehe dennoch davon aus, dass TiSA kommen werde, weil US-Unternehmen massiv von den geplanten Regelungen profitieren würden: »Ich bin nicht davon überzeugt, dass alle Handelsabkommen am Ende sind. Wenn TPP gestoppt wird, dann hat Donald Trump seinen Anhängern einen Skalp gebracht.« Alexander Dix, ehemaliger Datenschutzbeauftragte des Landes Berlin, erklärte, es bestehe die Gefahr, dass »der Datenschutz auf dem Altar des Freihandels geopfert wird«. Nach den bislang bekanntgewordenen TiSA-Bestimmungen könnten die Datenschutzbeauftragten in Deutschland nicht mehr unabhängig agieren. »Am Ende würden Schiedsgerichte agieren.«

Bereits im September hatten AktivistInnen von Greenpeace Schweiz 22 TiSA-Dokumente veröffentlicht. Im Juni waren Papiere auf der Enthüllungsplattform Wikileaks verbreitet worden.

Die nun veröffentlichten Texte stammen laut Greenpeace aus der Zeit vom 13. September bis 14. Oktober und seien somit möglicherweise nicht die aktuellsten Dokumente, da es nach dieser Zeit noch eine weitere Verhandlungsrunde gab. mit Agenturen

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