Feuerwerk hinterlässt Unmengen Staub, Kohlenmonoxid, Schwefeldioxid und etliches Dioxin
Ulrich Karlowski
Lesedauer: 5 Min.
Alle Jahre wieder leuchtet der meist finster kalte Nachthimmel in den glitzernsten Farben, es kracht, heult und zischt wie bei einem schweren Mörserangriff. Die Menschen rund um den Globus nehmen Abschied vom alten und begrüßen lautstark und farbenprächtig ein neues Jahr. Angefangen hat alles vor mehr als 1000 Jahren mit der Erfindung des Schwarzpulvers im alten China. Bereits in der Zeit der Sung-Dynastie, zwischen 960 und 1279 u. Z., ließen Chinesen die ersten, von einem Gemisch aus Salpeter (Kaliumnitrat), Holzkohle und Schwefel angetriebenen, damals Feuerpfeile genannten Raketen in den Himmel steigen. 1379 fand die erste friedliche Anwendung des Explosivstoffes in Europa statt, als mit einer funkensprühenden Taube, die sich an einem Seil entlang bewegte, das Pfingstfest gefeiert wurde.
Der Grundstoff - das Schwarzpulver - ist zwar über die Jahrhunderte gleich geblieben, doch längst ist aus den einfachen chinesischen Raketen und anderen Knallkörpern ein hochgerüsteter Industriezweig geworden, der allein in Deutschland mit dem Jahresendfest bis zu 200 Millionen Mark Umsatz macht. Entsprechend preist der Verband der Pyrotechnischen Industrie die Highlights für dieses Jahr: »Insbesondere das sog. Batterie-, System- oder Kombinationsfeuerwerk mit seinen minutenlangen aneinander gekoppelten Leucht-, Knister- und Farbeffekten erfreut sich bei Verbrauchern zunehmender Beliebtheit.« Dennoch lässt sich die kriegerische Verwandtschaft des uralten Brauchs nicht gänzlich verbergen. So zündete man 1998 in Japan eine Feuerwerk-Kugelbombe, mit einem Durchmesser von 139Zentimetern, einer Masse von 700Kilogramm und einem Explosionsdurchmesser von 1200Metern.
Ist die Knallerei vorbei, herrscht bei der Stadtreinigung Großalarm. Tonnenweise müssen die Überreste der Feuerwerkskörper, ein typischer Anblick in den ersten Januartagen, beseitigt werden. »Ein hinnehmbares Problem«, meint das Umweltbundesamt (UBA), das zuletzt vor 6 Jahren die ökotoxikologischen Aspekte von Silvesterfeuerwerken in Deutschland unter die Lupe nahm. Neben Schwarzpulver, das als Treibsatz und Explosivstoff dient, wird für Leucht-, Rauch-, Pfeif- und viele andere pyrotechnische Effekte eine schier unüberschaubare Vielzahl von Stoffen eingesetzt. Für Farbeffekte sorgen zum Beispiel die Nitrate, Chlorate und Perchlorate der Metalle Natrium (gelbe Flammenfärbung), Kalium (weiß), Strontium (rot) oder Barium (grün). Um gleißende Helligkeit oder auch nur weiße Lichtblitze zu erreichen, wird metallisches Magnesium, Aluminium, oder Titan hinzugefügt. Darüber hinaus findet man Naturharze, Schwefel, roter Phosphor sowie in kleineren Mengen Kupfer-, Antimon- und Zinkverbindungen und sogar PVC. Hinzu kommen Klebstoffe, Quellmittel, Abbrandregler, Kunst- und Schaumstoffe. Die Beimengung von kleinen Mengen Holzkohle oder Eisen verleiht dem Feuerwerk eine leichten Goldschimmer. Bei Temperaturen zwischen 1500 und 3000°C brennen die leuchtenden oder knallenden Mischungen dann in kurzer Zeit ab.
Angesichts von so viel bunter Chemie und dem stinkenden Nebel, der vom bunten Spektakel übrig bleibt, stellt man sich unwillkürlich die Frage nach der Umwelt. Das Fraunhofer-Institut für Umweltchemie und Toxikologie aus Schmallenberg kam in einer Studie vom Februar 1996 zu dem Schluss: »Im Regelfall kann von einer vollständigen Umsetzung ausgegangen werden. Die Verbrennungsprodukte fallen bei den Leuchtsätzen zu 80 bis 90Prozent, beim Schwarzpulver zu etwa 60Prozent als feste Bestandteile an. Der übrige Teil besteht aus den gasförmigen Reaktionsprodukten Kohlendioxid, Stickoxiden, Wasserdampf und Kohlenmonoxid sowie in geringerem Umfang aus Schwefeldioxid und Schwefelwasserstoff.« Mengenmäßig heißt das nach der UBA-Studie aus dem Jahre 1995: Neben dem Papiermüll auf den Straßen bleiben vom Silvesterfeuerwerk 8000 Tonnen Staub (Metalloxide, Salze oder unverbrannte Bestandteile), 200 Tonnen Kohlenmonoxid, 1900 Tonnen Schwefeldioxid, 1500 Tonnen Kohlendioxid sowie Stickoxide und zahlreiche unbekannte Verbindungen übrig. Untersuchungen in Indien und Großbritannien kommen zu dem Schluss, dass es infolge der Feuerwerke auch zu einem Anstieg der Ozonkonzentration in der unteren Atmosphäre kommt. Bei der Verbrennung von Chlorverbindungen in Gegenwart von Kupfer kommt es überdies zur Bildung von Dioxin, dessen Konzentration allerdings schnell wieder abnimmt.
Trotz dieser beeindruckenden Emissionsbelastung kommt das UBA zu dem Schluss, dass selbst vom ökotoxikologisch bedeutenden Barium sowie anderen Schwermetallen aus Silvesterfeuerwerken nur eine geringe bis nicht nachweisbare Umweltbelastung ausgeht. Lediglich bei den Schwebstaubkonzentrationen wird in der Silvesternacht, besonders bei austauscharmen Wetterlagen, ein deutlicher Anstieg um bis zu das Dreifache gemessen, ohne dass dabei allerdings Grenzwerte überschritten werden. Nach etwa drei Stunden ist der Spuk wieder vorbei und die Staubkonzentrationen kehren zu ihren Ausgangswerten zurück. Der auf den Boden und Pflanzen gesunkene Schwebstaub wird spätestens im Frühjahr vom Regen weggewaschen.
Für den dichten Rauch, der bei Feuerwerk mit Schwarzpulverraketen entsteht, interessieren sich jedoch auch die Profifeuerwerker. Er verdirbt nämlich die Brillanz der Farben. Deshalb halten langsam raucharme Explosivstoffe Einzug in die Feuerwerkstechnik. So haben drei Wissenschaftler aus dem US-Atomwaffenlabor Los Alamos für das Militär eine neuartige raucharme Mischung entwickelt, für die der Disney-Konzern die Lizenz erworben hat. Damit wird der Unterhaltungsriese zur Konkurrenz für die drei Forscher. Die hatten sich inzwischen mit einer Feuerwerksfirma selbstständig gemacht. Aus Kostengründen griffen die Jungunternehmer jedoch auf einen Sprengstoff-Klassiker zurück, der nur 150 Jahre alt ist: die Schießbaumwolle (Zellulosenitrat). Der fehlende Rauch hilft auch, bei den giftigen Schwermetallen für die Farbeffekte zu sparen.
»Da offensichtlich für die meisten Menschen in Deutschland das Silvesterfeuerwerk ein sozial-kulturell bedeutendes Ereignis ist, sind aus unserer Sicht die damit verbundenen Umweltbelastungen hinnehmbar«, resümiert man im UBA und begnügt sich mit dem Appell an die Industrie, durch verbesserte Rezepturen die Emissionen zu reduzieren und weniger umweltbelastende Verpackungsmaterialien zu wählen. Als einziger gravierender Umweltaspekt verbleibt - abgesehen von unzähligen Bränden, abgerissenen Fingern oder Händen, Augenschäden oder Gehörverlusten - der bei Feuerwerken unumgängliche Lärm, der zu teilweise unzumutbaren Belastungen für ältere Menschen wie auch für Haus- und Wildtiere führt.
Womöglich geht von der Knallerei die größte Gefahr aus, wenn eigentlich Ruhe herrscht. Denn es kommt nicht nur in China immer wieder vor, das durch Unachtsamkeit die Fabrikationsstätten der Raketen und Knaller in die Luft fliegen. So geschehen am 13. Mai 2000, als in der niederländischen Stadt Enschede die Fabrik von S. E. Fireworks explodierte. In der von 40 Tonnen Feuerwerk genährten Feuersbrunst starben 22 Menschen, tausende wurden verletzt, 200 Eigenheime sowie 311 Wohnungen wurde komplett verwüstet oder schwer beschädigt. Ein etwa 42,7 Hektar großes Gebiet, ein ganzer Stadtteil, sah aus wie nach einem Flächenbombardement.
»Abgesehen von ethischen Motiven sollte man sich allein wegen der anfallenden Müllmengen aus Verpackungen und Umhüllungen und wegen des erheblichen Energieaufwands bei der Herstellung der Feuerwerkskörper überlegen, ob man auf das Silvesterfeuerwerk verzichtet oder es zumindest einschränkt«, sagt das UBA in seiner Studie abschließend. Andernfalls wird es dann wohl nach dem Motto der Miss Sophie aus der legendären Filmklamotte »Dinner for One« gehen, wo es beim alljährlichen Geburtstagsdinner heißt: »The same procedure as every year«.
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