Debatte um passive Sterbehilfe

Betroffenenverband plädiert für weitreichende Patientenverfügung

  • Lesedauer: 3 Min.
2003 urteilte der Bundesgerichtshof, dass die Patientenverfügung in der Sterbephase zu beachten ist. Ein Arzt darf danach einen Menschen nicht künstlich am Leben erhalten, wenn dieser zuvor eindeutig erklärt hat, dies nicht zu wollen - auch wenn er sich aktuell nicht nicht mehr äußern kann. Seither wird das Thema heftig diskutiert. Wie beispielsweise Psychiatrie-Erfahrene, oft von Entmündigung betroffen, vorliegende Gesetzesvorschläge bewerten, darüber sprach mit René Talbot, Vorstandsmitglied der entsprechenden Bundesarbeitsgemeinschaft, Peter Nowak.
ND: Schwarz-Rot will die Patientenverfügung gesetzlich regeln. Hierzu gibt es mehrere Anträge im Parlament. Wie unterscheiden sie sich?
Talbot: Ein SPD-Gesetzentwurf schlägt vor, dass eine Patientenverfügung »unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung« generell bindend sein soll. Nur bei Zweifeln am mutmaßlichen Patientenwillen entscheide das Vormundschaftsgericht«. Laut einer Vorlage des CDU-Rechtspolitikers Wolfgang Bosbach soll eine lebenserhaltende medizinische Maßnahme nur abgebrochen werden dürfen »bei irreversiblen Grundleiden, die trotz medizinischer Behandlung einen tödlichen Verlauf genommen haben«, oder bei Menschen, die über lange Zeit ohne Bewusstsein sind und dieses »mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit« niemals wiedererlangen werden. Ein dritter Entwurf aus Reihen der SPD-sieht eine noch größere Einschränkung des Patientenwillens vor.

Ist abzusehen, wie die Entscheidung ausgehen wird?
Das ist noch völlig offen. Da für diese Frage der Fraktionszwang aufgehoben wird, gibt es in allen Parteien Anhänger der unterschiedlichen Entwürfe. Abzusehen ist bisher nur, dass SPD und FDP wohl mehrheitlich einer weitergehenden Auslegung des Patientenwillens zustimmen werden, während ihn die Union mehrheitlich wohl auf die Sterbephase begrenzen will. Bei den Grünen und der Linkspartei ist keine eindeutige Positionierung zu erkennen.

Wie ist Ihre Position als Betroffenenorganisation?
Wir fordern, dass die Patientenverfügung prinzipiell und unabhängig von dem Krankheitsstand gültig sein soll. Es ist Konsequenz des Selbstbestimmungsrechts des Erwachsenen und somit der Würde des Menschen. Das ist auch der Wunsch vieler Menschen, mit denen wir zu tun haben. Wir empfehlen ihnen, an jeweils alle Bundestagsabgeordneten des Bezirks Briefe zu schreiben, in denen sie diese Position deutlich machen.

Sind die Befürchtungen mancher Kritiker übertrieben, dass durch eine weite Auslegung der Patientenverfügungen die Tötung auf Verlangen legalisiert werden könnte?
Bei dieser Argumentation wird der vermeintliche Lebensschutz gegen das Recht auf Selbstbestimmung ausgespielt. Dabei wird übersehen, dass die Befürworter einer weiten Gültigkeit der Patientenverfügung weder implizit noch explizit eine Sterbenachhilfe unterstützen. Das Lebensrecht wird von ihnen nicht in Frage gestellt. Sie sind, wie wir, eindeutig gegen eine Tötung auf Verlangen. Daher stehen sich bei dieser Debatte nicht der Schutz des Lebens und die Autonomie des Patienten gegenüber. Es geht vielmehr um eine Lebenspflicht versus Autonomie.

Es gibt auch Kritiker, die wegen der NS-Morde vor einer Aufweichung des Lebensschutzes warnen.
Die Nazis haben für den systematischen ärztlichen Massenmord an Wehrlosen den euphemistischen Begriff Euthanasie benutzt. Bis heute wird er bis in die Fachliteratur weiterhin verwendet. Dabei handelt es sich um eine besonders perfide Verdrehung der historischen Tatsachen, denn diese Morde geschahen ja gerade gegen den Willen der Betroffenen und sollten nur in der Nazi-Vertuschungsstrategie als »Tötung auf Verlangen« dargestellt werden.

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