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Rheinmetall übernimmt Marinesparte der Lürssen-Gruppe
Rheinmetall ist bisher ein Heereslieferant. Nun steigt der Düsseldorfer Konzern in die Marinerüstung ein
Es ist ein Geschäft, das die deutsche Rüstungsindustrie massiv verändert: Der Düsseldorfer Rheinmetall-Konzern steigt nun auch ins Marinegeschäft ein und übernimmt die komplette Marinesparte der Bremer Lürssen-Gruppe. Dazu gehören Blohm + Voss und die Norderwerft in Hamburg, die Peene-Werft in Wolgast sowie die Neue Jadewerft in Wilhelmshaven. Hinzu kommen Standorte in Bulgarien, Kroatien, Ägypten und Brunei. Weltweit betrifft die Übernahme rund 2000 Beschäftigte, wie Lürssen in der Nacht zum Montag mitteilte. Über den Kaufpreis haben beide Seiten Stillschweigen vereinbart. Der Übernahme müssen noch die Kartellbehörden zustimmen. Rheinmetall und Lürssen hoffen auf einen Abschluss Anfang kommenden Jahres.
Deutschlands Schiffbau wird seit geraumer Zeit von zwei Gruppen dominiert: von Thyssen-Krupp Marine Systems (TKMS) in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt Kiel, bekannt für seine U-Boote, und eben von Lürssen. Die familiengeführte Unternehmensgruppe mit Hauptsitz in Bremen-Vegesack wurde 1875 gegründet und ist eine norddeutsche Werftengruppe mit bislang rund 4100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern weltweit. Die zivile Sparte der Unternehmensgruppe firmiert unter dem Namen Lürssen und ist spezialisiert auf den Neubau und die Reparatur von Megayachten. Die Marinesparte wird seit dem Jahr 2021 unter der Dachmarke NVL (Naval Vessels Lürssen) als eigenständiges Unternehmen innerhalb der Firmengruppe geführt.
Im vergangenen Jahr erzielte NVL einen Umsatz von rund einer Milliarde Euro. Die Auftragsbücher sind gut gefüllt. NVL hat laut Medienberichten aktuell Aufträge in Höhe von rund sieben Milliarden Euro. Das Unternehmen beliefert sowohl die Deutsche Marine als auch andere Streitkräfte. Zusätzliches Potenzial sieht Lürssen künftig im Bereich autonome Schifffahrt – also bei schwimmenden Drohnen.
Mit dem Verkauf möchte Lürssen ein »Zeichen der Stärke« setzen, wie es vom Unternehmen heißt. Gleichzeitig macht man nun den Weg frei für den politisch seit Langem gewünschten Zusammenschluss in der deutschen Rüstungsindustrie. »Insbesondere vor dem Hintergrund der verschärften Bedrohungslage halten wir eine Konsolidierung innerhalb der Verteidigungsindustrie für notwendig und sinnvoll«, meint der Geschäftsführende Gesellschafter Friedrich Lürßen. »Nur so lässt sich eine schnelle Wehrfähigkeit unseres Landes sicherstellen.«
In den vergangenen Jahren hat sich die Komplexität der Führungs- und Waffensysteme massiv erhöht. Kriegsschiffe werden im Verbund mit anderen Einheiten vernetzt und durch autonome Einheiten in der Luft, auf dem Wasser und unter Wasser ergänzt. Das erfordert laut Lürßen »eine weitreichendere Integration solcher Waffensysteme als bisher«. Mit der Übernahme entstehe »ein Nukleus für eine neue, wachstumsstarke Marine-Division« von Rheinmetall. Weitere Zukäufe sind also nicht ausgeschlossen.
Über Jahrzehnte hat sich Rheinmetall, ursprünglich ein Autozulieferer, als Anbieter vor allem in der Heerestechnik weltweit einen Namen gemacht. Mit dem Erwerb des Schiffbauers möchte man sich breiter aufstellen. Dies sei ein weiterer Baustein, um die »ehrgeizigen mittelfristigen Ziele für nachhaltiges profitables Wachstum« zu erreichen, so Vorstandschef Armin Papperger.
Der Konzern mit etwa 40 000 Beschäftigten und einem Umsatz 2024 von 10 Milliarden Euro macht bereits Geschäfte mit der Marine, etwa als Lieferant von Schiffsgeschützen und Lasermodulen. Seit Beginn des Ukraine-Krieges im Februar 2022 hat sich der Börsenkurs des Unternehmens verzwanzigfacht. Rheinmetall gehört zu den wichtigsten Lieferanten des angegriffenen Landes, bezahlt wird diese Waffenhilfe teilweise von der Bundesregierung.
Mit der neuen strategischen Akquisition baut Rheinmetall seine Position als führender Anbieter für Verteidigungstechnologie in Deutschland und Europa aus. »Künftig werden wir zu Lande, zu Wasser, in der Luft und im Weltraum ein relevanter Akteur sein«, freut sich Konzernchef Papperger. »Rheinmetall entwickelt sich damit zum domänen-übergreifenden Systemhaus.« In Verbindung mit den Rheinmetall-Kompetenzen werde ein vitales deutsches Kraftzentrum für hochmoderne Überwasserschiffe geschaffen – »ein Powerhouse«, ist Pappberger überzeugt.
Der Deal dürfte indes in der Industrie nicht überall auf Begeisterung stoßen. So gibt es Bemühungen, den deutsch-französischen Panzerhersteller KNDS nach dem Vorbild von Airbus aufzurüsten, um die inzwischen bedenkliche Größe von Rheinmetall einzuhegen.
Für die Beschäftigten und Arbeitnehmervertretungen bleiben derweil viele Fragen offen. »Beispielsweise fehlen das industriepolitische Konzept und die konkret geplanten Synergien, von denen bei Rheinmetall die Rede ist«, sagt Daniel Friedrich, Bezirksleiter der IG Metall Küste. Der Gewerkschafter fordert beide Unternehmen auf, schnellstmöglich für Transparenz zu sorgen und den Beschäftigten an den norddeutschen Standorten die Unsicherheit zu nehmen: »Ohne Sicherheit von Standort und Beschäftigung sowie guter Tarifverträge wird eine neue Struktur unter Rheinmetall nicht funktionieren.«
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