Moskauer Pläne für Syrien

Nach Rückeroberung Aleppos durch die Regierung warten neue militärische Mühen

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Interview mit Rossija24, dem Informations-Spartenkanal des russischen Staatsfernsehens, klang Syriens Präsident Baschar al-Assad, als habe er den Sieg bereits in der Tasche. Beim Wiederaufbau des kriegszerstörten Landes würden Staaten bevorzugt, die auf Syrien »nie Druck bei Souveränitätsfragen« ausgeübt haben: Russland, China und Iran. Mit Moskau und Teheran werde man auch das weitere Vorgehen diskutieren. Zunächst müsse jedoch die Verteidigung Aleppos verstärkt werden.

Die faktische Einnahme der Stadt – Russland geht davon aus, dass Assads Gegner derzeit nur noch maximal fünf Prozent kontrollieren – sei Assads bisher größter Triumph, sagt der Arabist Leonid Isajew von der kritischen Hochschule für Ökonomie in Moskau. Die Stadt dauerhaft zu halten, sei indes schwieriger. Assad habe derzeit maximal 90 000 Mann unter Waffen. Die Rückeroberung von Palmyra durch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) habe klar gezeigt, dass die Regierungstruppen nicht über ausreichend Ressourcen verfügen, um zurückeroberte Gebiete auch zu kontrollieren. Ihre Schwäche schade dem Ansehen Moskaus, das immer tiefer in den Konflikt hineingezogen werde.

Zwar schlossen Russlands Senat und Verteidigungsministerium eine Bodenoperation erneut aus. »Elemente« einer solchen, ließ sich Kremlsprecher Dmitri Peskow diese Woche dennoch entlocken, seien bei Russlands Syrienmission »von Anfang an präsent« gewesen.

Bis zum Frieden sei es noch weit, befürchtet auch Alexej Malaschenko vom Moskauer Carnegie-Zentrum und warnt vor einem »zweiten Konzert«. Moskau hatte nach der Rückeroberung von Palmyra das Orchester des St. Petersburger Marinski-Theaters samt Stardirigent Waleri Gergijew einfliegen lassen. Die Musiker spielten vor den antiken Ruinen wie schon im Augustkrieg 2008 im kriegszerstörten Zchinwali, der Hauptstadt von Georgiens abtrünniger Region Südossetien. In den »befreiten Zonen« von Aleppo, so Malaschenko, würden Assads Truppen das Kommen und Gehen bewaffneter Formationen so wenig unter Kontrolle haben wie in Palmyra. Dadurch sei die zum Weltkulturerbe gehörende Ruinenstadt erneut im Besitz der Terroristen und definitiv dem Untergang geweiht. Kreml und Regierung machen dafür indes mangelnde Zusammenarbeit mit der US-geführten Koalition verantwortlich. Diese habe den Angriff auf die IS-Hochburg Rakka eingestellt, die Terroristen hätten die Pause genutzt, um Palmyra zurückzuerobern.

Außenminister Sergej Lawrow warf Washington sogar vor, bewusst auf Zeit zu spielen. Die Kämpfe um Aleppo könnten die kriegsentscheidende Wende bringen. Daher wollten die USA vor allem die Nusra-Front schonen. Sie gilt in Russland als terroristische Vereinigung. Washington, so befürchtet Lawrow, wolle sie dennoch retten und als letzte Reserve in den Kampf gegen Assad werfen. Die Konsultationen mit den USA vergangene Woche in Rom und in Deutschland, so der Diplomat, seien daher »fruchtloses Gesitze« gewesen. Jedes Mal, wenn auf Initiative Moskaus konkrete Absprachen erzielt werden, rudere Washington hinter das bereits Erreichte zurück.

Nach Aleppo, schreibt auch die einflussreiche Moskauer Wirtschaftszeitung »Wedomosti«, sei nur noch eine politische Lösung, also Verhandlungen, möglich. Der scheidende US-Präsident Barack Obama wolle daher einen Sieg Assads verhindern oder wenigstens bis zum Wechsel im Weißen Haus am 20. Januar hinauszögern. Das wäre auch Moskau recht, glaubt Nahostexperte Isajew. Lawrows Äußerungen machten klar, dass er mit Obamas Administration nicht verhandeln wolle. Moskau hoffe, der designierte Präsident Donald Trump werde zu Syrien »auf Distanz gehen«. Kollege Malaschenko ist skeptisch: Die Chancen stünden 50 zu 50. Um dennoch erfolgreich über die Nachkriegsordnung verhandeln zu können, müsse Moskau Assad bis zur Wachablösung in Washington davon überzeugen, dass Wahrung der derzeitigen Besitzstände wichtiger sei als neue Eroberungen. Parallel dazu müsse Russland den Dialog mit der Türkei intensivieren. Ankara habe gute Kontakte zu den Warlords der syrischen Opposition.

Vor allem aber habe die Wahl von Trump in der Region ein »Vertrauensdefizit« geschaffen. Für Russland öffne sich daher ein »window of opportunity«. Ein Zeitfenster günstiger Gelegenheiten.

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