So viel Schwindel

Die Komische Oper brachte Emmerich Kálmáns Musical »Marinka« konzertant - und entsetzte unseren Rezensenten

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

So viel Schlechtes auf einem Haufen? Der Abend quälte, bereitete hernach schlechten Schlaf. Was Hanns Eisler wohl zu dieser Nummer gesagt hätte? Er, wie Emmerich Kálmán einst US-Exilant, aber anders als dieser mit kaum Moneten in der Tasche. Er, gedemütigt bei den McCarthy-Tribunalen. Der hätte Herzgeschichten gekriegt bei so viel Schwindel. Nichts anderes war’s, was die Komische Oper am vierten Advent verzapft hat.

Die Kálmán-Fröhlichkeit ist schmierig. »Marinka« nennt sich das Gebilde. Hochgepriesen vom Haus: erstens Rarität, zweitens europäische Erstaufführung nach 70 Jahren, drittens neu aufgeputzt, viertens Musical eines renommierten Operettenschreibers, fünftens Uraufführung im New Yorker Winter Graden Theatre am Brodway, sechstens Uraufführungsjahr 1945, einfach so hingestellt. Der auf die Bühne springende Intendant Barrie Kosky spielte vorweg den Entertainer. Blendend aufgelegt, energiegeladen, zappelnd wie Philipp, mit dem Mikro jonglierend, quoll aus ihm nichts weiter heraus, als die lächerliche Unternehmung über den grünen Klee zu loben und Dankesworte wie Silvesterglimmer zu streuen. Kálmán-Verwandtschaft säße in der Präsidentenloge, was Beifall verdiene. Die Menge gehorchte. Mehrere Male schon hätte Kálmán-Zauber am Jahresende das Publikum begeistert, nun solle mit »Marinka« der Höhepunkt zu erleben sein.

Die konzertante Version, ein geschäftstüchtiger Schnellschuss mit aufs Musical spezialisierten Akteuren, die ihr Handwerk allemal beherrschen, dauert glücklicherweise nur 80 Minuten. Kosky besorgte die szenische Einrichtung. Das Orchester musiziert auf der Bühne. Davor rechts und links zwei fürstliche Tische. An dem einen sitzt Josef Bratfisch und stellt sich als Leibfiaker Kaiser Franz Josephs I. vor. Fast will es scheinen, dass seiner Majestät mit der Aufführung gedacht wurde, Franz Joseph starb nämlich vor hundert Jahren. Stellvertretend für ihn präsentiert das Stück seinen einzigen Sohn, den Kronprinzen Rudolf von Habsburg. Höchst elegant mit farbiger Schärpe und Orden an der Brust. Dass der Kaiser später zu den Heldenhaftesten unter den Weltkriegsschuldigen gehören soll, soll natürlich keiner wissen. Neben dem Kronprinzen sitzt die Baroness Marie Vetsera, genannt Marika. In Distanz zu ihr die Gräfin Landowska, der Erzählung nach ein Luder mit hohem Männerverschleiß. Von ihr stamme ein Buch, das sie dem Kronprinzen zeigen wolle, worin jede der hundert Affären, die sie bis zur Neige ausgekostet habe, nachgezeichnet sein würde, Springpunkt für Eifersüchteleien. Alle vier sprechen und singen auf Deutsch und Englisch.

Magisch das Jahr 1889, in dem die »Meyerling-Affäre« ihren Ursprung hat. Inhalt: Jener Kronprinz liebt Marinka und sie ihn, aber sie dürfen auf kaiserliche Anweisung nicht zusammenkommen. Außerdem würden sie mit Aufständischen in Budapest konspirieren, was der Musik allerlei Anlass gibt, Puszta-Pfeffer auszustreuen. Damit die kronprinzliche Affäre nicht öffentlich wird, muss ein Trick her, so dass das innigliche Paar sich schlicht selbst hinmordet, wie die Erzählung geht, unter glutvollen Klängen und Singsang freilich, tatsächlich aber ins Land der tausend Möglichkeiten auswandert. Was wiederum der Musik ungeahnte Entfaltungschancen bietet, und zwar von Anfang an.

Höfische Langeweile soll nicht aufkommen. Umso mehr darf dauernd Würze in die Suppe fliegen, stammend aus Wien, Budapest, New York, New Orleans, damit 1945 die Kasse des Komponisten stimmt, verrührt mit schwammigem Swing, Klarinetten-Dixi-Soli und sonstigen tausendmal in Hollywood-Streifen verbratenen Soßen. Eine Zugnummer folgt der nächsten, Walzer bis zum Überdruss, wienerisches Kutschergerülps, Romantik in Zuckerwasser getaucht. Selbst in die Ami-Folk-Kiste zu greifen, scheut sich der Komponist nicht, und versenkt die Echtheit von Songs in sprudelndem Donauwasser. Das geht lange, so lange, bis es nur noch Zugnummern gibt und die Ohren vor lauter Zugluft »Aua« schreien.

»Marinka«, Blendwerk, mit irrem Beifall bedacht. »Marinka«, Inkarnation schmieriger, schäbiger Eleganz. 1945 uraufgeführt, als stünde die Sonne im Zenit, gesungen vor Amerikanern, die eben die Nachricht gehört hatten, dass 380 000 ihrer Soldaten in Europa gefallen sind. »Marinka« gehört wahrlich auf den Misthaufen der Musikgeschichte.

Nächste Aufführung am 30. Dezember

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