Liberaler Vollsortimenter

Christian Lindner hat die FDP fit gemacht, auch für ihn steht alles auf dem Spiel

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 5 Min.

Sternsingen ist Ritual am Tag der Heiligen Drei Könige. So wie das Dreikönigstreffen der FDP. Über Jahrzehnte hat die Partei mit ihrer Veranstaltung im Stuttgarter Opernhaus, die selbst scheinreligiöse Züge trägt, das Zeremoniell dieses Datums mitgestaltet; in diesem Jahr profitiert sie nun von der sich vollziehenden Prophezeiung der Ewigkeit dieses Datums.

Wenngleich die FDP derzeit nicht die Bedeutung früherer Zeiten hat - bis zur letzten Bundestagswahl war sie, mit einer Rot-Grün-Pause von 1998 bis 2005, an allen Bundesregierungen beteiligt - für viele ist sie einfach nicht wegzudenken aus dem Politikangebot des deutschen parlamentarischen Systems. Auch nachdem die Partei 2013 das erste Mal seit 1949 nicht den Einzug in den Bundestag schaffte (4,8 Prozent), war es um sie nie ganz ruhig geworden. FDP-Politiker wurden in den letzten vier Jahren von Journalisten seltener, aber dennoch regelmäßig zu Interviews gebeten und in Erinnerung gehalten. Nach weiteren Einbrüchen bei Wahlen 2013 und 2014 hat die Partei mittlerweile ein wenig Rückenwind gewonnen, bildete Fraktionen in den Landtagen von Hamburg, Bremen und Baden-Württemberg und Berlin. In Mecklenburg-Vorpommern scheiterte der Versuch, aber in Rheinland-Pfalz regiert die Partei in einer Ampelkoalition, in konfliktträchtiger Partnerschaft mit SPD und Grünen.

Mit dem traditionellen Dreikönigstreffen an diesem Freitag richten sich nun erstmals seit langer Zeit wieder alle Blicke der Öffentlichkeit auf die FDP. Und übereinstimmend ist bereits vom Schicksalsjahr die Rede, in dem sich für die Partei und nicht zuletzt auch für ihren Vorsitzenden, Christian Lindner, alles entscheiden wird. Derzeit steht die Partei in Umfragen zwischen fünf und sieben Prozent, alles ist möglich. Sollte die Rückkehr in den Bundestag misslingen, wären die Folgen unabsehbar. Schon jetzt ist die FDP trotz Lindners Heiligenschein ein Schatten ihrer selbst. Das Personal wurde halbiert, jährlich fielen rund vier Millionen Euro an staatlicher Parteifinanzierung weg, Schatzmeister Hermann Otto Solms hatte einen Schuldenberg von 9,1 Millionen Euro abzutragen, was längst nicht vollendet ist.

»Angst fliegt nicht auf den Mond« - mit der trotzigen Losung auf der Internetseite zum Dreikönigstreffen ist die Haltung der FDP gleichzeitig zur Bundestagswahl in diesem Jahr beschrieben. Ein Aufbruch ist gemeint, und ein wenig klingt es auch nach abgebrochenen Brücken. Zuletzt waren die Liberalen zum Abschied von mehreren Altvorderen gezwungen gewesen, mit Hans-Dietrich Genscher, Walter Scheel und Hildegard Hamm-Brücher starben Vertreter einer Generation, die für erfolgreichere Zeiten der Partei standen. Und auch der Tod des ehemaligen Vorsitzenden Guido Westerwelle hat den Eindruck des Endgültigen verstärkt. Die FDP sei nicht mehr die Partei, die man kannte - Christian Lindner verbreitet diesen Eindruck vehement, in seinen Botschaften verkündet er nichts weniger, als dass er die FDP neu erfunden habe.

Aus der Einthemenpartei des Guido Westerwelle, als sie sich allein auf Steuersenkungen kaprizierte, sei eine Partei mit breitem Themenspektrum geworden. »Wir sind ein Vollsortimenter«, sagte Lindner gegenüber der »Saarbrücker Zeitung« in dieser Woche. 2015 benannte sich die »FDP, kurz: Liberale«, in »FDP, kurz: Freie Demokraten« um. Mit ihren Angeboten an die Wähler sei die Partei Ansprechpartner für Millionen, wie der Vorsitzende selbstbewusst formuliert. Die FDP wird von Beobachtern als Lindner-Gefolge beschrieben. Von der Einthemenpartei zur Einmannpartei, zur Partei der Lindnerianer. Das zeigt, wie wichtig Christian Lindner für die FDP ist. Alle blicken gebannt auf ihn, wenn es um die Chancen geht in den Wahlen dieses Jahres. Zugleich lauert da ein innerer Sprengsatz, bis die Probe aufs Exempel erfolgt ist - in Prozenten nämlich.

So neu allerdings ist das alles nicht, was man bei Lindner findet, wenn man seinen charismatischen Auftritt beiseite lässt, zu dem er fähig ist und mit dem er nicht nur seine Anhänger fasziniert. Gegen die Bürokratisierung des Landes wettert er, und das Wohl der Wirtschaft ist für ihn das Kriterium aller Entscheidungen, wie es dies für die FDP immer schon war. Die Vollsortimenter-FDP von Christian Lindner ist nicht sozialer als die Steuersenkungspartei von Guido Westerwelle es war. Lindner umwirbt die Menschen, die die »Sicherung ihrer Freiheit wollen, die gute Schulen und Straßen erwarten und in ihrem persönlichen Vorankommen nicht aufgehalten werden möchten«. Die aktuelle Rentenreform nennt er das teuerste Wahlgeschenk der Großen Koalition. In der Flüchtlingspolitik wird der Rechtsstaat beschworen und gegen Terrorismus brauche es nicht mehr Gesetze, sondern mehr Polizei. FDP-Vize Katja Suding zählte in der »Heilbronner Stimme« die Ziele auf: Entlastung und Bürokratieabbau als »Grundlage für die Freiheit des Einzelnen«, Ausbau der Infrastruktur, besonders der digitalen und Stopp für die »große Umverteilungsmaschine«, die die Große Koalition in Bewegung gesetzt habe. Immerhin eine soziale Geste: Bildungserfolg solle nicht mehr so stark von der sozialen Herkunft bestimmt werden.

Im Saarland, wo im März die erste Wahl dieses Jahres stattfindet, rangiert die FDP in Umfragen derzeit bei drei Prozent. Besser sieht es in Schleswig-Holstein aus, wo am 7. Mai mit Wolfgang Kubicki einer aus der spärlich gewordenen Promiriege der Liberalen an der Spitze steht. Und bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen am 14. Mai muss Lindner selbst mit dem Wiedereinzug für gute Stimmung für den Bundestagswahlkampf sorgen.

Fairness ist für Christian Lindner der zentrale Begriff, wenn es um soziale Gerechtigkeit geht. Fairness als Alternative zu Gleichheit, mit der soziale Gerechtigkeit nach seinem Geschmack viel zu oft verwechselt wird. Freiheit und Fairness sind die Pole, zwischen denen der FDP-Chef Gedankenspannung aufbaut, wenn andere von Gerechtigkeit reden. Die durchgrünte Politik der Bundeskanzlerin kritisiert er, wie Westerwelle dereinst die CDU als schwarz lackierte Sozialdemokraten kritisierte. Westerwelle, der sich zur »Freiheitsstatue der Republik« ausrief - übrigens auf einem Parteitag in Stuttgart. Dieser trug damals das Motto »Freiheit, Fairness, Chancen«.

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