Schocknachricht für Isenschnibbe

Sachsen-Anhalt stellt kein Geld für geplanten Gedenkstättenbau in Landeshaushalt ein

  • Hendrik Lasch, Gardelegen
  • Lesedauer: 3 Min.

Weite Äcker und lange Alleen voller Obstbäume: Die Gegend vor den Toren Gardelegens in Sachsen-Anhalt ist eigentlich idyllisch. Ein riesiges Feld voller weißer Kreuze aber erinnert daran, dass hier das Grauen einen Ort hat. Am 13. April 1945 wurden in einer Feldscheune des Gutes Isenschnibbe 1013 Menschen bestialisch ermordet: Häftlinge aus Außenlagern zweier KZ, die auf Todesmärsche getrieben und am Ende in die Scheune gepfercht wurden. Deren Tore wurden versperrt, der Bau in Brand gesteckt. Wer entkam, wurde von Wehrmachtssoldaten, Volkssturmmännern und Anwohnern gejagt. Als tags darauf US-Soldaten in Gardelegen einrückten, stießen sie auf grausam entstellte Leichen.

Die Feldscheune Isenschnibbe gilt heute als Symbol für die Verbrechen auf den NS-Todesmärschen - ein Gedenkort, wie es ihn bundesweit nicht noch einmal gibt. Das sah auch der Landtag Sachsen-Anhalt so. Im Dezember 2012 beschloss er die Übernahme des bis dato von der Stadt Gardelegen gepflegten Gedenkortes in die Gedenkstättenstiftung des Landes. Er verwirkliche »in besonders herausragender Weise« den Stiftungszweck, das Wissen um die einzigartigen Verbrechen der NS-Diktatur zu bewahren, hieß es im einstimmig gefassten Beschluss. Den Verantwortlichen im Land war allerdings auch klar, dass dieses Wissen bisher nur unzureichend vermittelt werden kann. Auf dem Areal gibt es neben dem Gräberfeld und einer in den 1950er Jahren aus Resten der Scheune erbauten Gedenkmauer kein Gebäude, in dem Ausstellungen gezeigt oder Schulklassen betreut werden könnten. Eine Reihe von Schaukästen mit Informationstafeln können das Manko nur ungenügend beheben. Der Landtag beschloss deshalb auch, dass bereits mit dem Etat 2014 »Voraussetzungen für die Errichtung einer (...) wissenschaftlichen und pädagogischen Standards genügenden Gedenkstätte« geschaffen werden sollten.

Auf dem Weg dazu war man weit vorangekommen; seit einem Juryvotum vom April 2016 für den Entwurf eines Berliner Architektenbüros stand fest, wie das Besucher- und Dokumentationszentrum aussehen würde; kurz vor Jahresende befand eine Jury auch über Entwürfe für die Dauerausstellung, die man Mitte 2018 einzuweihen hoffte. Daraus aber wird wohl nichts - wegen einer »Schocknachricht«, wie es in einer Resolution des Gardelegener Stadtrats heißt: Im Regierungsentwurf für den Haushalt 2017/18 ist kein Geld für den Bau eingestellt, der 3,7 Millionen Euro kosten soll. Der Baustart Anfang 2017 droht auszufallen. In der Altmark will man das nicht hinnehmen - und verweist auf die verheerende Signalwirkung: »Welche Außenwirkung erreicht würde«, wenn der Bau verschoben würde, das »dürfte klar sein«, heißt es im Brief des Stadtrats, der an Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch (CDU) ging. Ein ähnliches Papier beschloss der Kreistag Stendal. Konrad Fuchs, Ex-Rathauschef von Gardelegen und Chef des Fördervereins Isenschnibbe, äußerte sich in einem Brief an die für die Gedenkstätten zuständige Staatskanzlei »erstaunt, dass ein mit großer öffentlicher Beachtung gestartetes (...) Vorhaben so heimlich, still und leise zumindest aufgeschoben werden soll«.

Auch Landespolitiker machen Druck. Die Mittel nicht einzustellen, sei »definitiv das falsche politische Signal«, sagt Andreas Höppner (LINKE), der eine entsprechende Initiative seiner Fraktion für die Haushaltsverhandlungen im Landtag ankündigte. Auf Änderung wollen auch die mitregierenden Grünen drängen. Aus Verantwortung gegenüber den noch lebenden Zeitzeugen könne man den Neubau »nicht auf den St. Nimmerleinstag verschieben«, so Sebastian Striegel, parlamentarischer Geschäftsführer. Man wolle eine Lösung finden, sagt er. Aber: »In welchem Zeitrahmen, müssen wir sehen.«

Die Staatskanzlei hatte kürzlich erklärt, sich um »andere Möglichkeiten der Finanzierung« bemühen zu wollen. Höppner nennt diese Aussage »Quark«. Striegel sagt, er wäre über Geld aus anderen Quellen »nicht unglücklich«, stellt aber auch klar, dass das Land in der Pflicht stehe: »Der Landtag hat sich gebunden.«

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