Kameras und Abschiebungen

Sicherheitspaket von Innensenator Andreas Geisel (SPD) sorgt schon jetzt für Diskussionen

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

»Berliner Präventions- und Sicherheitspaket« - unter diesem Titel wird Innensenator Andreas Geisel (SPD) bei der am Montag anstehenden Senatsklausur seinen Zehn-Punkte-Plan vorstellen. Die Umsetzung soll die Gefährdung durch Terror und Gewalt in der Hauptstadt reduzieren. Das dem »nd« vorab vorliegende fünfseitige Papier dürfte größtenteils auf Zustimmung bei den Koalitionspartnern stoßen.

Für Unbehagen bei LINKEN und Grünen sorgt jedoch Punkt 9. »Wir werden deshalb das Berliner Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) für den öffentlichen Raum so ergänzen, das Videoüberwachung anlassbezogen und temporär sowie an ausgewählten kriminalitätsbelasteten Orten als zusätzliches nützliches Instrument für die Berliner Polizei zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben einsetzbar wird«, heißt es da. Es bedeutet eine dauerhafte Videoüberwachung von Orten wie dem Alexanderplatz oder dem Kottbusser Tor in Kreuzberg. Zumindest, so lange diese sich auf der nicht-öffentlichen Liste der Polizei über kriminalitätsbelastete Orte finden.

»Eins ist für mich klar: Ich werde keinem Gesetz zustimmen, das die Videoüberwachung ausweitet«, sagt die Grünen-Abgeordnete Canan Bayram. »Zumal die temporäre Überwachung bereits schon jetzt möglich ist und auch gemacht wird, wenn es einen konkreten Anhaltspunkt gibt.« Bayram ist migrationspolitische Sprecherin und war in der vorigen Legislaturperiode Mitglied des Innenausschusses. Solche Maßnahmen seien »symbolpolitische Antworten«.

»Kameraüberwachung lehnen wir ab«, sagt auch LINKEN-Innenexperte Hakan Taş. Er hält so ein Papier generell für einen Schnellschuss, so lange die Ermittlungen rund um den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz noch nicht vollständig abgeschlossen sind.

Für ein gewisses Unbehagen sorgen auch die Punkte 5 und 6. Dort geht es um den Umgang mit abgelehnten Asylbewerbern. Zunächst wird die Unterstützung der freiwilligen Ausreise thematisiert, wie sie auch in der Koalition vereinbart wurde. »Wenn ein Senat sagt, er will geltendes Recht umsetzen, dann ist das eigentlich nichts Spektakuläres«, sagt Bayram. Allerdings hätten die sogenannten Gefährder, also Personen unter Terrorismusverdacht, häufig die deutsche Staatsbürgerschaft. »Man muss einfach aufpassen, nicht Themen zu vermischen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben.« Problematisch ist nach Bayrams Ansicht auch die in dem Papier angekündigte Unterstützung eines gemeinsamen Abschiebzentrums von Bund und Ländern, schließlich wisse man noch überhaupt nicht, wie das genau aussehen solle.

In Punkt 6 regt der Innensenator die Änderung des Aufenthaltsgesetzes an. Bisher dürfen Ausreisepflichtige nicht in Abschiebehaft genommen werden, wenn sie aus Gründen, die sie nicht zu vertreten haben, mehr als drei Monate inhaftiert wären. Dabei geht es um Bundesrecht.

»Wenn wir keine Haltung beweisen bei diesen Dingen, werden CDU, AfD und vielleicht auch die FDP uns immer weiter vor sich hertreiben«, sagt Bayram. Tatsächlich triumphiert bereits die AfD-Abgeordnete Kristin Brinker, dass die SPD bei der Forderung nach mehr Videoüberwachung ihrer Partei nachziehe.

Es sei beileibe kein Scharfmacherpapier, heißt es aus dem Umfeld des Senators. Das sei allein schon daran zu erkennen, dass die vorgeschlagenen Präventionsmaßnahmen - Wertevermittlung, frühzeitige Integration und Deradikalisierung - vorne zu finden seien. Unter anderem wird die dauerhafte Finanzierung des Vereins Violence Prevention Network (VPN) angestrebt, der verschiedene Deradikalisierungsprojekte betreibt. »Diese Mittel sollen in den Nachtragshaushalt 2016/17 eingestellt werden«, bestätigt Martin Pallgen, Sprecher der Innenverwaltung, auf Anfrage des »nd«. »Bis dahin wird es eine Zwischenfinanzierung geben.«

»Tatsächlich müssten vor allem die bereits bestehenden Regelungen umgesetzt und finanziert werden«, sagt Bayram. Pro Gefährder, allein in der Hauptstadt gibt es 73, werden rund 30 Personen für die Observation benötigt. »Wenn Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) also wirklich mehr Sicherheit haben will, dann muss er den Bundesländern auch die finanziellen Ressourcen zur Verfügung stellen«, sagt Bayram. Ihrer Ansicht nach soll die Debatte vor allem von den Versäumnissen auf Bundesebene ablenken. »Der Entwicklungshilfeminister sollte lieber darin investieren, Fluchtursachen zu verhindern als über Abschiebung zu reden«, sagt auch Hakan Taş.

An die Wurzeln der Probleme zu gehen, erfordere an vielen Stellen »Zeit, dauerhaften Ressourceneinsatz und beharrliches Engagement«, heißt es in der Einleitung zum Papier. Möge der Senat das beherzigen.

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