Radikalenerlass für immer

Hessens LINKE macht das Unrecht gegen Berufsverbotsopfer zum Thema im Landtag

  • Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden
  • Lesedauer: 3 Min.

Auch 45 Jahre nach der Verkündung des Radikalenerlasses kämpfen Betroffene weiter für eine umfassende Rehabilitierung. So versammelten sich am Dienstag in Sichtweite des Hessischen Landtags in Wiesbaden rund 50 Berufsverbotsopfer und Gewerkschafter zu einer Mahnwache. Aufgerufen hatte das »Bündnis Berufsverbote Hessen«. Das Landesparlament wird am Donnerstag auf Antrag der Linksfraktion über das Thema beraten.

»Wir wollen den Druck verstärken, damit diese Geschichte auch in Hessen endlich ordentlich aufgearbeitet wird«, erklärte Jochen Nagel, Landesvorsitzender der Bildungsgewerkschaft GEW, gegenüber dem »nd«. »Die Vorgänge und Folgen müssen gründlich analysiert und die Betroffenen endlich für das begangene Unrecht entschädigt werden.« Angebracht sei nicht nur eine Entschuldigung bei den Opfern, sondern ein Ausgleich für Einbußen bei der Altersversorgung.

Den Radikalenerlass, der vorgeblichen »Verfassungsfeinden« und »Extremisten« den Zugang zum öffentlichen Dienst versperrte, hatten die Ministerpräsidentenkonferenz unter Vorsitz des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt (SPD) am 28. Januar 1972 beschlossen. Die darin beschriebenen »Personen, die nicht die Gewähr bieten, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten« waren überwiegend Mitglieder linker Organisationen, denen politische Aktivitäten, die Kandidatur bei Wahlen, die Teilnahme an Demonstrationen oder das Mitunterzeichnen politischer Erklärungen vorgeworfen wurde.

Mittlerweile haben die Landesparlamente von Niedersachsen und Bremen in Entschließungen den Radikalenerlass und seine Praxis scharf kritisiert und den Anstoß für eine umfassende Aufarbeitung gegeben.

Zu den Opfern zählte damals auch der aus dem badischen Heidelberg nach Wiesbaden angereiste Martin Hornung. Als junger Grund- und Hauptschullehrer machte er sich Hoffnung auf eine Lehrerstelle im Raum Stuttgart, wurde dann jedoch 1975 nach einer Anhörung zum »Verfassungsfeind« abgestempelt und Opfer des »Schiess-Befehls«. So nannten Kritiker die damals vom Stuttgarter Innenminister Karl Schiess (CDU) angeordnete baden-württembergische Umsetzung des Radikalenerlasses. Hornung musste seinen Lebensunterhalt über Jahrzehnte durch Arbeit in einem Metallbetrieb sichern, wurde Betriebsrat und ist inzwischen Rentner.

»Ich kenne mindestens ein Dutzend Metaller, die als Lehrer, Eisenbahner oder Postler Berufsverbot bekamen und sich in der Industrie um Arbeit bewerben mussten«, so Hornung gegenüber »nd«. Er freute sich darüber, dass auch die IG Metall sein Anliegen unterstütze. An der Mahnwache in Wiesbaden nahm auch die mittlerweile 70-jährige Silvia Gingold aus Kassel teil, die ebenfalls Mitte der 1970er Jahre im damals SPD-regierten Hessen mit Berufsverbot belegt wurde und später als Angestellte in den Schuldienst zurückkehren konnte. Sie wehrt sich weiterhin vor Gericht gegen die anhaltende Bespitzelung durch das Hessische Landesamt für Verfassungsschutz.

Der von der hessischen Linksfraktion im Plenum eingebrachte Antrag zum Radikalenerlass entspricht weitgehend dem Wortlaut einer Entschließung, die der niedersächsische Landtag im Dezember mit den Stimmen von SPD und Grünen verabschiedet hatte.

Und Hessens Grüne, die zusammen mit der CDU in der Landesregierung sitzen? »Der Radikalenerlass war eine mehr als fragwürdige Angelegenheit und bedeutete Unrecht für Menschen, die für den Öffentlichen Dienst geeignet waren«, erklärte der hessische Landtagsabgeordnete Daniel May (Grüne) am Rande der Mahnwache auf »nd«-Anfrage. Seine Fraktion werde allerdings zusammen mit dem Koalitionspartner CDU dem Antrag der Linksfraktion nicht zustimmen. Stattdessen planten die Grünen einen eigenen alternativen Antrag zur Sache einbringen, so May.

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