Entscheidung gegen die Betroffenen

Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt zu Altanschließern

  • Lesedauer: 4 Min.

Es fiel gegen die Antragsteller aus. Die Richter wiesen den Vorstoß ab und erklärten die geltende Regelung für verfassungskonform. Das Land hatte 2014 im Kommunalabgabengesetz erstmals festgelegt, dass Beiträge höchstens zehn Jahre nachträglich erhoben werden können.

Es räumte allerdings eine Übergangsfrist für ältere Fälle bis Ende 2015 ein. Das hatte zu Zehntausenden von Bescheiden mit nachträglichen Forderungen geführt. Aus Sicht der Verfassungsrichter bedeutet die Übergangszeit keine Ungleichbehandlung von alten und neuen Anschließern.

Worum dreht sich der Konflikt?
Im Kern geht es um die Frage, wie lange ein Haushalt nachträglich noch für einen Wasseranschluss zur Kasse gebeten werden darf. Bei diesen sogenannten Altanschließerfällen treiben die Zweckverbände oft Jahre, manchmal sogar Jahrzehnte nach dem Bau oder Anschluss von Abwassersystemen noch Gebühren dafür ein.

Im Konflikt, den die Verfassungsrichter jetzt beurteilten, geht es um eine Übergangsregelung. Sie hatte 2015 zu der Flut an Gebührenbescheiden geführt. Während die Regierung davon überzeugt ist, dass die Regelung rechtmäßig ist, hat sich die LINKEN-Fraktion als Opposition an das Landesverfassungsgericht gewandt.

Wen betrifft es?
In Sachsen-Anhalt sind nach Angaben des Verbands Deutscher Grundstücksnutzer etwa 85 000 Haushalte betroffen. Allein im Jahr 2015 wurden demnach mehr als 78 000 Bescheide mit einem Volumen von 77 Millionen Euro verschickt. Für den Einzelnen geht es um Forderungen von bis zu vielen tausend Euro. Rund 36 000 Betroffene, also etwa die Hälfte der zuletzt angeschriebenen Sachsen-Anhalter, hätten Widerspruch eingelegt, so ein Verbandssprecher.

Wie kam es zu dem Streit?
In Sachsen-Anhalt galt viele Jahre überhaupt keine zeitliche Obergrenze für nachträgliche Bescheide. Nach einem Bundesverfassungsgerichtsurteil aus dem Jahr 2013 zu einem Fall aus Bayern änderte sich das. Die obersten Richter hatten festgelegt, dass die Beiträge nicht beliebig lang nach Anschluss erhoben werden dürfen.

Viele Bundesländer, darunter auch Sachsen-Anhalt, änderten daraufhin ihr Kommunalabgabengesetz. Im Land gilt seitdem eine Verjährungsfrist von zehn Jahren. Eigentlich. Denn es gibt eine Übergangsregelung: Bis zum Stichtag Ende 2015 wurde diese zeitliche Obergrenze außer Kraft gesetzt. Das führte zu der Flut von Bescheiden im vergangenen Jahr - und ließ den Streit hochkochen.

Was geschah bisher?
Die Altanschließer-Beiträge beschäftigen nicht zum ersten Mal die Justiz. Im Februar 2016 hatte das Oberverwaltungsgericht in Magdeburg die Regelungen als rechtmäßig eingestuft. Das Innenministerium empfahl den Gemeinden dennoch per Erlass, auf das Eintreiben der Gebühren bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung zu verzichten.

Auch der Landtag stimmte im Sommer für eine Lockerung: Zweckverbände können auf das Eintreiben der Gebühren bis zur gerichtlichen Klärung verzichten. Beide Empfehlungen sind nicht verpflichtend.

Sind die Regelungen in Sachsen-Anhalt ein Einzelfall?
Nein, die Diskussion gibt es in vielen Bundesländern, vor allem im Osten. Hintergrund ist hier, dass nach der Wiedervereinigung viele Kläranlagen und Leitungen teuer neu gebaut wurden, aber zunächst auf das Eintreiben von Beiträgen verzichtet wurde. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hatte bereits mit den Brandenburger Regelungen zu nachträglichen Anschlussgebühren zu tun. Es erklärte sie für unwirksam.

Auf dieses Urteil verwiesen Kritiker der Übergangsvorschrift in Sachsen-Anhalt und hofften auf eine ähnliche Entscheidung. Gegenstimmen meinen, die Fälle in Brandenburg seien ganz anders gelagert.

Welche Folgen kann das Urteil haben?
Das kommt ganz darauf an. In Brandenburg hatten die Instanzen die Regelungen des Landes für rechtmäßig erklärt - erst der Gang nach Karlsruhe brachte 2015 endgültige Klärung. Ähnliches könnte auch in Sachsen-Anhalt passieren. Werden die Regelungen für unwirksam erklärt, könnte ein langer Streit darüber folgen, wer sein Geld zurückbekommt - und wer die dann fehlenden Einnahmen der Zweckverbände kompensiert. In Brandenburg wird derzeit um mögliche Schadensersatzforderungen an das Land gestritten.

Wie wird es nun weitergehen?
Nach der Entscheidung des Landesverfassungsgerichts strebt die Landtagsfraktion der LINKEN eine Gesetzesänderung an. Die Belastungen müssten hier gleichmäßiger verteilt werden, sagte Fraktionschef Swen Knöchel. Für die Zukunft seien dafür neue Regelungen zu finden und das entsprechende Kommunalabgabengesetz zu novellieren.

Bisher wird etwa der Beitrag für einen Anschluss ans Abwassernetz nach der Grundstücksgröße berechnet. Das führt zu einer großen Spanne der Forderungen. Auch ein anderes Modell zur Refinanzierung von Anlagen sei denkbar, sagte Knöchel. Zudem hätten Abwasserverbände mit überdimensionierten Anlagen und klammen Kassen zu kämpfen. Dafür will die LINKE Lösungsvorschläge diskutieren.

Der Streit könnte vor Gericht weitergehen. Dem Verband Deutscher Grundstücksnutzer zufolge reichte eine Betroffene aus Sachsen-Anhalt bereits Klage beim Bundesverfassungsgericht ein. Die obersten Richter in Karlsruhe hatten vor wenigen Jahren bereits den Streit um Altanschließer aus Brandenburg auf dem Tisch. Hier hatten die vorherigen Instanzen ebenfalls die Regelungen für rechtmäßig erklärt - doch die Karlsruher Richter kippten diese dann. dpa/nd

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