Chronist und Ankläger politischer Morde

Dietrich Heither stellt einen mutigen Linkssozialisten und Pazifisten vor: Emil Julius Gumbel

  • Rudolf Walther
  • Lesedauer: 3 Min.

Anrold Zweig sagte schon 1925 von den Büchern des Heidelberger Mathematikers und Publizisten Emil Julius Gumbel, sie würden »in die Blutkeller der deutschen Reaktion hineinleuchten«. Wie richtig er damit lag, ist am Lebensweg des am 18. Juli 1891 Geborenen abzulesen, der am 10. September 1966 im New Yorker Exil verstarb. Nur ein Nachruf, vom Sozialdemokraten Willi Eichler, erinnerte an den mutigen Linkssozialisten, Bürgerrechtler und Pazifisten.

Der Historiker und Lehrer Dietrich Heither stellt dessen Lebensweg in der verdienstvollen »Kleinen Bibliothek« des PapyRossa-Verlages dar. Gumbel promovierte wenige Tage vor Kriegsausbruch 1914 im Fach Statistik. Nach Kriegsausbruch meldete er sich als Freiwilliger. Die Kriegserfahrung machte ihn jedoch schnell zum Pazifisten; er schloss sich dem Sozialdemokraten gegründeten »Bund neues Vaterland« (BNV) um Eduard Bernstein, Ernst Reuter und Rudolf Breitscheid an. Zu diesem Kreis gehörten auch Nicht-Sozialdemokraten wie Albert Einstein, der Historiker Hans Delbrück und die Frauenrechtlerin Helene Stöcker. 1917 näherte sich Gumbel den unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) und dem »Friedensbund der Kriegsteilnehmer«. Am 19. Dezember 1918 druckte Kurt Tucholskys »Weltbühne« Gumbels »Rede an Spartacus«, in der er für die parlamentarische Demokratie und gegen die »Diktatur des Proletariats« eintrat. Von einer direkten Stellungnahme für eine politische Partei hielt er sich jedoch zeitlebens fern.

1922 veröffentlichte Gumbel eine akribische Dokumentation über »Vier Jahr politischer Mord«. Die erschreckende Bilanz: Seit Kriegsende waren 354 Morde von rechten und 22 von linken Tätern verübt worden. Die Urteile - gefällt durch Richter, die sich mit den neuen demokratisch-republikanischen Verhältnissen nicht abfinden wollten - weisen ein groteskes Missverhältnis auf. Für die Mörder von rechts gab es eine einzige lebenslange Verurteilung und insgesamt 90 Jahre Haft sowie 730 Mark Buße. Die Taten von links, mehr als zehnmal weniger, wurden dagegen mit 248 Jahren Haft und drei Mal lebenslänglichen Strafen abgeurteilt. Gumbel kritisierte diese Art von Klassenjustiz scharf. In seinem 1927 erschienenen Buch »Acht Jahre politische Justiz« legte er die Justizskandale und Fehlurteile präzise offen.

Zwischen 1922 und 1932 veröffentlichte er im Jahresdurchschnitt 15 Bücher, Broschüren und Aufsätze, in denen er die politisch motivierten Verbrechen von Tätern aus dem »wüsten Konglomerat« (Hans-Ulrich Wehler) der deutschen Rechten analysierte. Seit 1923 Privatdozent für Statistik an der Universität Heidelberg und ab 1930 Professor engagierte er sich nebenher weiter in der deutschen Friedensbewegung und blieb so im Visier rechtsradikaler Studenten und Korporationen. Mit Unterstützung des Rektors Erich Kallius wurde 1924 ein Untersuchungsverfahren gegen ihn eingeleitet - wegen angeblicher »Kränkung der Gesinnung« von Menschen, »die im Kriegstod eine Ehre und nicht bloß ein Unglück« sahen. Die Fakultät wollte Gumbel die Lehrberechtigung entziehen, einzig Karl Jaspers stimmte dagegen. Letztlich lehnte der Kultusminister Willy Hellpach ab.

Prominente Hochschullehrer von Gustav Radbruch und Karl Barth bis zu Max Horkheimer, Hugo Sinzheimer und Albert Einstein solidarisierten sich mit Gumbel. Die Heidelberger Universität ließ jedoch nicht locker und entzog ihm am 5. August 1932 die Lehrberechtigung. Eine besonders schäbige Rolle spielte dabei der - so Golo Mann - »Edel-Nazi« Arnold Bergstraesser, der 1937 selbst emigrieren musste, aber im Unterschied zu Gumbel 1954 wieder auf einem Lehrstuhl in der BRD saß.

Heithers Porträt ist nicht die erste, aber trotzdem notwendige Rehabilitation des mutigen Pazifisten, Sozialisten und Antifaschisten. Angemerkt sei noch, dass die neu gegründete Forschungsstelle am Moses Mendelssohn Zentrum der Universität Potsdam den Namen Emil Julis Gumbel trägt. Wie der Direktor des Zentrums, Julius H. Schoeps dieser Tage mitteilte, soll diese Antisemitismus und Rechtsextremismus in Geschichte und Gegenwart sowie Abwehrstrategien der demokratischen Gesellschaft erforschen.

Dietrich Heither: Ich wusste, was ich tat. Emil Julius Gumbel und der rechte Terror in der Weimarer Republik. PapyRossa, Köln 2016. 131 S., br., 12,90 €.

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