Gipfel der Selbstverleugnung

Angela Merkel und Horst Seehofer erklären gegenseitig ihre privilegierte Partnerschaft

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.

»Wir schaffen das« - von dem Satz hatte sich die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende bereits vor einigen Wochen verabschiedet, so dass er sich auch als Kommentar zu ihrem Ausflug nach München verbot. Und doch: Auf der gemeinsamen Pressekonferenz am Montagmittag mit Horst Seehofer wäre dieser Satz passend gewesen. Denn Angela Merkel hat es geschafft. Als wäre ein Wunder geschehen, zeigte sich CSU-Chef Horst Seehofer plötzlich als Bewunderer und Freund, sprach von einer idealen Kandidatin, der allein Deutschlands Schicksal angetragen gehöre.

Nach den permanenten Angriffen der CSU, die sie rund anderthalb Jahre lang mehr oder weniger erfolgreich ausgesessen hat, wurde Merkel am Montag zur gemeinsamen Kandidatin von CDU und CSU bei der Bundestagswahl am 24. September ausgerufen. »Einhellig« sei die Unterstützung beider Parteipräsidien gewesen, hieß es anschließend aus der Parteizentrale der Christsozialen in München, die die Bundeskanzlerin am Wochenende anlässlich des zweitägigen Treffens zum ersten Mal überhaupt betreten hatte - was allein flugs zum Beweis eines Dammbruchs zwischen beiden Parteien deklariert wurde.

Das Spitzentreffen war als Versöhnungstreffen zwischen den Parteispitzen geplant, und ein solches tat nach den Entwicklungen der letzten anderthalb Jahre dringend not, wenn man das erklärte Ziel der Union zum Maßstab wählt, aus der nächsten Bundestagswahl am 24. September als stärkste Kraft hervorzugehen. CSU-Chef Horst Seehofer hatte das Treffen trotzdem noch vor Tagen in Frage gestellt - wegen der angeblich anhaltenden grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten beiden Seiten zum Thema Geflüchtete. Obwohl die deutsche Asylpolitik nach zahlreichen Gesetzesverschärfungen, die CDU, CSU und SPD gemeinsam durchsetzten, kaum noch mit der des dramatischen Jahres 2015 vergleichbar ist, als Zehntausende Flüchtlinge sich auf den Weg nach Deutschland machten - im Glauben, hier willkommen zu sein -, wurde Merkel von Seehofer noch bis kurz vor dem Treffen in München scharf angegriffen. Eine Klage gegen die Bundesregierung hatte er im letzten Jahr vorbereiten lassen, obwohl seine Partei dieser selbst angehört und von einer »Herrschaft des Unrechts« sprach er mit Blick auf die Kanzlerin. Nie wieder, so schien es dem Außenstehenden, würde zwischen Merkel und Seehofer ein wohlwollender Umgang möglich sein.

Doch nun passt plötzlich kein Blatt Papier mehr zwischen beide, der obligatorische Hinweis auf vorhandene Unterschiede zwischen CDU und CSU wird von Seehofer dem Bekenntnis zu Einheit und Geschlossenheit so kleinmütig hinzugefügt, wie er diese Unterschiede zuvor überhöhte. Das Wort vom Versöhnungstreffen selbst war Seehofer nun zu wenig glorios, viel treffender findet er den Begriff »Zukunftstreffen«. Worum es den Schwesterparteien nun und in den kommenden Monaten geht, daraus macht er keinen Hehl: »Jetzt ist mein oberstes Ziel, dass wir die Wahl gewinnen.«

Offenbar nehmen die Unionsstrategen den Aufwind, in dem sich die SPD dank der Ernennung ihres Kanzlerkandidaten Martin Schulz derzeit befindet, als mehr denn ein vorübergehendes laues Lüftchen wahr. Nach neuester Insa-Umfrage im Auftrag der »Bild«-Zeitung lag die SPD am Montag mit 31 Prozent plötzlich bereits einen Punkt vor der Union. Und wieder ist es offenbar Seehofer, dessen Sorge den Ausschlag zu einem rabiaten Wendemanöver im Umgang mit Merkel gibt. Merkel, die das Problem eher pragmatisch betrachtet, auf der Pressekonferenz: »Ich habe bei jeder Bundestagswahl meine Mitbewerber ernst genommen«, das gelte auch dieses Mal. Seehofer ist nun plötzlich auch bereit, die zu einem großen Teil selbst geschaffenen Veränderungen in Sachen Flüchtlingspolitik wahrzunehmen. Nichts gebe es jetzt, »das die Gemeinsamkeiten in Frage stellt«. Auch an der nächsten Bundesregierung wolle die CSU beteiligt sein, das stellte Seehofer klar. Auch ohne Obergrenze? Die derzeitigen Asylzahlen erreichten die diskutierte Zahl von 200 000 ja gar nicht.

Nun muss nur noch ein gemeinsames Regierungsprogramm her, wozu man in diesen beiden Tagen erste Absprachen treffen konnte. Man ist noch nicht so weit, »dass man Öffentlichkeit herstellen könnte«, wie Seehofer sagte. Aber er zeigte sich schon einmal hocherfreut über die Qualität der Debatte des Treffens - »das freut die Parteivorsitzenden«.

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