»Sowjet-Feiertage« auf der Kippe

Kiewer Institut für Nationale Erinnerung will 8. März, 1. Mai und Tag des Sieges streichen

  • Denis Trubetskoy
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Ukraine will »sowjetische« Feiertage durch »ukrainische« ersetzen. Das Institut für Nationale Erinnerung, das den Gesetzentwurf präsentierte, ist umstritten - und für die Geschichtspolitik im Lande verantwortlich.

Von Denis Trubetskoy, Kiew

Eine Idee des ukrainischen Instituts für Nationale Erinnerung sorgt für Verwirrung in der Ukraine. Wolodymyr Wjatrowytsch, der umstrittene Leiter des Instituts, das für die Geschichtspolitik des Landes verantwortlich ist, hat dafür mit seinen Vorschlägen für die Neuordnung gesetzlicher Feiertage gesorgt. So will er den 8. März, also den Internationalen Frauentag, sowie den 1. Mai als Kampf- und Feiertag der Arbeiterklasse und den Tag des Sieges im Zweiten Weltkrieg am 9. Mai aus dem Kalender streichen. »Während wir den Kalender zuletzt mit neuen ukrainischen Feiertagen füllten, werden auch die alten aus sowjetischer Zeit immer noch gefeiert. Das kann so nicht bleiben«, sagt der aus Lviv stammende Historiker.

»Als unabhängiger Staat müssen wir jene Feiertage gesetzlich etablieren, die sehr wichtig für die ukrainische Geschichte sind - und nicht irgendwelche Feiertage aus der sowjetischen Vergangenheit«, betonte der 39-Jährige in einem Interview. Mit seinem Institut hat Wjatrowytsch bereits einen Gesetzentwurf vorbereitet, der die Feiertage des Landes regeln soll. Laut dem Entwurf sollte unter anderem der 8. März durch den Taras-Schewtschenko-Tag am 9. März ersetzt werden. An diesem Tag im Jahr 1814 wurde der berühmteste Dichter der Ukraine geboren.

Wjatrowytschs neue Gesetzinitiative löste wie auch der Entwurf des Gesetzes über die Staatssprache, das die dominierende Rolle der ukrainischen Sprache in der zweisprachigen Ukraine festigt, unterschiedliche Reaktionen aus. Olexander Wilkul, Rada-Abgeordneter des Oppositionsblocks, registrierte den Antrag über die Kündigung von Wjatrowytsch als Leiter des Instituts für die Nationale Erinnerung im ukrainischen Parlament. »Für die systematische Spaltung der ukrainischen Gesellschaft muss Wjatrowytsch gefeuert werden«, sagt Wilkul, eine der Führungsfiguren im Oppositionsblock. »Früher oder später wird unsere kranke Gesellschaft wieder geheilt.«

In patriotischen Kreisen war die Reaktion auf den Entwurf erwartungsgemäß deutlich positiver, auch wenn zum Beispiel die Streichung des 8. März von einigen Aktivisten als »zu radikal« empfunden wurde. Außerdem lieferte Wjatrowytsch mit seiner Aussage, der 1. Mai werde nur noch in postsowjetischen Staaten gefeiert, selbst einen weiteren Kritikpunkt. Dafür rückt die Debatte um das Feiertagsgesetz das Institut für die Nationale Erinnerung und dessen Leiter wieder in den Vordergrund. Bereits bei der umstrittenen »Dekommunisierung« spielte das staatliche Institut die Schlüsselrolle.

Das Institut für die Nationale Erinnerung wurde bereits 2005 auf Initiative des damaligen Präsidenten Wiktor Juschtschenko gegründet. Das Ziel war, »die berechtigte Geschichte der ukrainischen Nation wieder herzustellen« und »die Geschichtspolitik des ukrainischen Staates zu formieren«. Allerdings spielte das Institut vor der Maidan-Revolution im Februar 2014 keine allzu große politische Rolle. Dies änderte sich nach dem Maidan, als Wolodymyr Wjatrowytsch, der sich früher um die Archive des ukrainischen Sicherheitsdienstes SBU kümmerte, die Leitung übernahm. In der Ukraine gilt der 39-Jährige Wjatrowytsch zwar als einer der bekanntesten Historiker des Landes, im Ausland ist er allerdings höchst umstritten - und genießt kein gutes Ansehen. Wjatrowytschs Spezialgebiet als Historiker ist die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), zu diesem Thema schrieb er gleich mehrere Bücher. Viele renommierte Historiker werfen in diesem Zusammenhang Wjatrowytsch vor, die Aktivitäten der OUN während des Zweiten Weltkrieges zu verharmlosen und die Person ihrer Anführers Stepan Bandera zu heroisieren.

Aber auch in der Ukraine wird Kritik an Wjatrowytsch und seinem Erinnerungsinstitut laut. »Manchmal sieht es danach aus, als würde er die Ukraine in das große Galizien verwandeln wollen«, meint der Kiewer Politologe Kost Bondarenko. »Wjatrowytsch denkt aber sehr wohl, dass er mit seiner radikalen Position Recht hat. Der Kiewer Politik ist er nützlich. Wenn man keine Territorien zurückerobern kann, ist es immer noch möglich, Hunderte von Städten und Tausende von Straßen umzubenennen.«

Tatsächlich genießt das Institut für Nationale Erinnerung trotz vieler umstrittener Initiativen große Unterstützung vor allem des Präsidialamtes des Staatschefs Petro Poroschenko. Es bleibt allerdings durchaus fraglich, ob Wjatrowytsch und sein Institut bei einer objektiven Aufklärung der schwierigen Geschichte der Ukraine tatsächlich helfen können.

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