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»Welt«-Korrespondent Yücel in der Türkei in Polizeigewahrsam

Redaktion bestätigt, dass der Journalist seit Dienstag von Sicherheitskräften vernommen wird / Ermittlungen gegen den Deutsch-Türken wegen »Terrorpropaganda« und »Datenmissbrauch«

  • Lesedauer: 3 Min.

Istanbul. Erstmals ist während des Ausnahmezustandes in der Türkei ein deutscher Journalist in Polizeigewahrsam genommen worden. Der Türkei-Korrespondent der »Welt«, Deniz Yücel, hatte sich der Polizei in Istanbul bereits am vergangenen Dienstag gestellt, wie seine Redaktion am Freitag bestätigte. Den Anwälten des 43-Jährigen sei gesagt worden, dass gegen ihn wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, wegen Terrorpropaganda und wegen Datenmissbrauchs ermittelt werde.

Dabei scheint es um gehackte E-Mails zu gehen, die vom Mailkonto von Energieminister Berat Albayrak stammen sollen, dem Schwiegersohn von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Yücel hatte über die von einer Gruppe namens Redhack verbreiteten Mails zwei Artikel verfasst. Redhack gilt in der Türkei als Terrororganisation.

Yücel besitzt sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsbürgerschaft. Aus Sicht der türkischen Behörden ist er damit ein einheimischer und kein ausländischer Journalist. Nach Angaben der »Welt« wurde Yücels Istanbuler Wohnung durchsucht, nachdem der Korrespondent sich der Polizei gestellt hatte. »Welt«-Chefredakteur Ulf Poschardt erklärte: »Die türkische Regierung weist immer wieder darauf hin, dass die Türkei ein Rechtsstaat ist. Darum vertrauen wir darauf, dass ein faires Verfahren seine Unschuld ergeben wird.«

Deniz Yücel war in den vergangenen Wochen bereits aus den sozialen Medien »verschwunden« – er verbreitete weder auf seinem Twitter- noch auf seinem Facebook-Profil Nachrichten. Für Bekannte und Sympathisanten war dies immer wieder Grund, nach seinem Verbleib zu fragen. Nach Bekanntwerden der Inhaftierung wurden Aufrufe zur Freilassung von Yücel laut. »Erst türkische Presse, jetzt sind Korrespondent dran. GroKo muss Freilassung von fordern!«, twitterte etwa der Vorsitzender der Grünen, Cem Özdemir. Auch der Autor Sascha Lobo rief die Bundesregierung dazu auf, sich für den Kollegen stark zu machen. »Appell an & – helft, den in der Türkei verhafteten, deutschen Journalisten Deniz Yücel zu befreien«, schrieb Lobo.

Auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) kritisiert die Ingewahrsamnahme. »Es zeigt, dass Präsident Erdogan versucht, den Ausnahmezustand zu missbrauchen, um unliebsame Berichterstattung unmöglich zu machen«, sagte der DJV-Vorsitzende Frank Überall der Deutschen Presse-Agentur. »Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie den Fall aufgreift und ihre diplomatischen Kanäle nutzt, um unseren Kollegen zu schützen.« Das Vorgehen auf türkischer Seite sei eine neue Eskalationsstufe, weil mit Yücel auch die Pressefreiheit in Deutschland angegriffen werde. Schließlich sei die Grundlage der Vorwürfe die Berichterstattung in der »Welt«. Das Vorgehen sei als Drohgebärde des türkischen Staates zu werten. »Sie zeigt, dass auch wir nicht mehr frei über die Türkei berichten können.«

In der Türkei sitzen zahlreiche regierungskritische Journalisten unter Terrorvorwürfen in Haft. Menschenrechtsorganisationen halten die Anschuldigungen häufig für konstruiert und für politisch motiviert. Die Regierung weist solche Kritik zurück. dpa/nd

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