Das Niedrige ganz oben

In der Cottbuser Theaterscheune inszenierte Martin Schüler »Das Wirtshaus im Spessart« nach Wilhelm Hauff

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 5 Min.

Das Ding ist ein Husarenstück geworden. So wohl erwogen wie stürmisch inszeniert in der Theaterscheune zu Cottbus, früher eine Schenke der Bauern mit Tanzsaal dran. Das passt zum »Wirtshaus im Spessart«, dieser rüden Räuberkomödie nach Wilhelm Hauff, in der Volk und Adel turbulent aufeinanderstoßen. Das Stück spielt im 19. Jahrhundert. Kurt Hoffmann hat aus der Vorlage 1958 eine deftige Filmkomödie mit Liselotte Pulver, Carlos Thompson, Hubert von Meyerink u. a. gemacht. Riesenerfolg seinerzeit. Daran lehnt sich die Cottbuser Aufführung an. Räuberbanden sorgten in deutschen Landen für Angst und Unsicherheit. Nachklang der Napoleonischen Kriege. Sie klauten, was das Zeug hielt, mordeten diejenigen, die lieber krepieren wollten, als von ihrem Überfluss abzugeben. Viele von ihnen wurden gefasst, in den Kerker gesteckt oder gehenkt. Gesetzlosigkeit ging um. Woher rührte sie?

Diese Frage klärt die Aufführung freilich nicht, kann und will sie auch gar nicht. Aber sie gibt Fingerzeige dahin. Extreme reißen nämlich durchaus auf. Herauskommt: Die da unten, die Räuber mit Knoll und Funzel (Martin Eitner, Thomas Pöschel) und dem streitsüchtigen Bullenbeißer, die beiden schaulustigen Handwerksburschen, die graue, abgelaufene Wirtin (Carola Fischer) wie das Räuberweibsbild Bettina (Liudmila Lokaichuk), das die rüden Männer erhitzt, sämtlich arme Hündinnen und Hunde, sind besser, redlicher, auch viel ehrlicher als die Fürsten in den Schlössern, die sie nicht gebaut. Für Letztere steht Graf von Sandau, Vater der Comtesse und Geizling vor dem Herrn (Thorsten Coers), und das Platthirn von Baron (Hauke Tesch), besoffen in der Schubkarre, wenn die Stunde schlägt, als Mann so ungeliebt, dass die Comtesse, mit ihm verlobt, sich angewidert abwendet. Das gemeine Volk singt und tanzt auch besser, viel ausgelassener als die gepuderte Herrschaft mit Brillantring und Perücke. Dies stellt die Inszenierung heiter heraus. Und das macht sie hochsympathisch.

Regisseur Martin Schüler ist nicht nur ein Meister der großen Oper, er ist auch in den »Niederungen« von Operette und Musical zu Hause. Was heißt »Niederungen«? Das Niedrige kann ganz hoch sein, man muss nur imstande sein, es zu erhöhen. Schüler weiß mit Ausdrucksmaterial der Unterklassen umzugehen, und treibt dort virtuos seinen Spott, wo der Muff und Staub fürstlicher Gemächer und barocker Typen nistet. Allerdings: Pure Abneigung ist fehl am Platze. Beim Adel muss unterschieden werden. Die Comtesse, Constanze, in dem Stück ist eine großartige Frau.

Die Kutschtour der Adelsgesellschaft auf holpriger Straße im Mischwald endet mit einem Ruck. Loch. Rad entzwei. Unfall? Nee. Eine Falle. Wie im Film. Zwei Waldleute eilen dazu. Unterm Hemd natürlich Räuber. Sie geleiten die fürstliche Crew, zu der auch der dicke Pastor gehört, mit Sack und Pack zur nächstgelegenen Absteige. Alles nach Plan. Im Wirtshaus passiert es. Gefangennahme. Lösegeldforderung. Wehe, der Beutel kommt nicht, dann geht es der Comtesse mit Anhang schlecht. Statt zu zahlen, ruft Graf von Sandau nach den Soldaten. Unterdes ist Constanze in Männerkleidung geschlüpft und, erzürnt über die mordsmäßige Moral des Papas, bleibt ihr nichts weiter, als mit der Bande zu fraternisieren, was den Hauptmann erfreut. Der befühlt sie entdeckerisch, und sie werden ein Paar.

Mitgegangen, mitgehangen? Nein. Sie hat Glück. Der Räuberhauptmann, blaublütiger Italiener, aber arm, betrogen vom eigenen Stand, ist gutherzig, was den Zorn des geifernden Bullenbeißers (Alexander Trauth) beschwört. Der Hauptmann will Freiheit und Gerechtigkeit. Christian Henneberg, mit der Rolle betraut, blickt so lieb und edel drein, als trete ihm endlich die ersehnte Liebe entgegen, was ja nicht trügerisch ist. Er, einst verprellt, ausgestoßen, ringt wie ein kerniger Husar mit dem Feudalismus. Der Witz: Er will Rache üben an der eigenen Kaste, und er kriegt am Ende die Edelste der Kaste zur Frau.

Groß die Anne Schierack. Sie gibt die Comtesse Franziska derart beherzt, als wäre sie aufklärerischen, emanzipatorischen Geistes. Das ist sie auch. Frau mit Courage, eloquent, schlagfertig, der Liebe fähig, tritt sie ihren Bedrängern - Schufte, Weich- und Feiglinge des eigenen Standes - trotzig entgegen. Mit den Banditen hat sie viel weniger Sorgen. Unbedingt sei auch Dirk Kleinke als Pastor genannt, spirituelle Begleitfigur mitten im turbulenten Geschehen. Der Pastor läuft irgendwie immer mit und kriegt öfter mal einen Stoß gegen den dicken Bauch. Was tut der Erschrockene, wenn sein Weltbild wankt? Er zitiert, die Augen hochschlagend, Bibelsprüche. Eine wandelnde schwarze Litfaßsäule, lächelnd, blässlich, aber gefasst, wenn Gewalt droht. Mann, dem es unfehlbar gelingt, noch der jähesten Wendung sich glücklich anzulehnen.

Über die Musik von Hans Grothe mag man streiten oder sie gar ablehnen. In dieser Inszenierung jedoch funktioniert selbst das Schunkellied. »Ach es könnte schön sein« im Dreivierteltakt, und der Saal klatscht dazu. Das wirkt hier geradezu aufrichtig gegen die verlogenen heimattümelnden TV-Schunkeleien. Begleitet von Klarinette, Kontrabass, Schlagzeug und Klavier schnurren Lieder, Chöre, Zwischenspiele, auch Tanzeinlagen als quirlige Nummernfolge ab.

In jenem simulierten Wirtshaus am Berge jedenfalls geht die Überzeichnung um. Dieser Ort eignet sich, die Dinge satirisch auszumalen, der sozialen Räuberei den schlechten Leumund auszutreiben, das Kneipenmilieu mit frechen, stimmungsvollen Liedern und Märschen zu bekrönen. Wo Räuber sind, ist nicht nur Goldschmuck, da sind auch die Soldaten. Und die spielen hierorts zwischen Berg und Tal ihre komische Rolle. Ja, da kommen sie auch schon, mit Marschgetön, »Zack, Zack«, an der Spitze der preußische Korporal (Ulrich Schneider). Ganz wie gestern, aber auch wie heute. Im konkreten Fall musste die Kolonne, da die Hochzeit des hohen Paares trotz aller Widerstände genehmigt wurde, unverrichteter Dinge wieder abziehen. Und heute, nach fast 200 Jahren, schießen Soldaten überall in der Welt herum, auf Räuber, welche durch die hochexplosiven Wertetransfers der Weltordner erst zu solchen geworden sind, und, einmal umgeschaut, das deutsche Parlament stimmt dem fortdauernd auch noch mehrheitlich zu. »Wo sind wir hingekommen?« (Karl Mickel)

Nächste Vorstellungen: 22., 23.2. Alle Termine dieser Spielzeit sind ausgebucht. Der Beginn des Kartenverkaufs für die Vorstellungen in der Spielzeit 2017/18 sind für den 1. Juni geplant.

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