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Unabhängigkeit und Unparteiischsein der Richter
Teil 1
Diese Merkmale entsprechen den Menschenrechten, und zwar dem Art.6 Abs.1 der (West-) Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), wie auch dem Art. 14 Abs. 1 der Internationalen Konvention über Bürgerrechte und politische Rechte, der auch die DDR beigetreten war.
Nach Art.6 Abs.1 EMRK hat »jedermann Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht«.
Die Unabhängigkeit der Richter ist im Art. 97 Abs. 1 des Grundgesetzes, wie folgt, beschrieben:
»Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen.« Allerdings spricht - im Unterschied dazu - der Art. 20 des Grundgesetzes davon, dass »die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden« sei. Diese unterschiedliche Fassung der beiden Artikel des Grundgesetzes hat zu mancher Diskussion geführt.
Wesentlich ist, dass aus der Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht abgeleitet wird, dass auch Gewohnheitsrecht, übergesetzliches ungeschriebenes Recht, Naturrecht bzw. allgemein anerkannte Rechtsgrundsätze und auch die richterliche Rechtsfortbildung (durch die Obergerichte) die Richter binde.
In den Verfassungen der DDR war die Unabhängigkeit der Richter ebenfalls festgeschrieben. Im Art. 127 der Verfassung von 1949, die als eine Verfassung für Ostdeutschland vorbereitet und breit diskutiert worden war und nach der Bildung der Bundesrepublik und daraufhin der DDR zu deren Verfassung erhoben wurde, heißt es eindeutig: »Die Richter sind in ihrer Rechtsprechung unabhängig und nur der Verfassung und dem Gesetze unterworfen.«
Ähnlich lautet Art. 96 der durch Volksentscheid angenommenen Verfassung von 1968: »Die Richter, Schöffen und Mitglieder der gesellschaftlichen Gerichte sind in ihrer Rechtsprechung unabhängig. Sie sind nur an die Verfassung, die Gesetze und anderen Rechtsvorschriften der Deutschen Demokratischen Republik gebunden.«
Für die Verfassung der DDR war also die Bindung der Richter an das geschriebene Recht, an die Verfassung, Gesetze und andere (geschriebene) Rechtsvorschriften charakteristisch.
Diese allgemein anerkannten Grundsätze einer modernen Rechtspflege werden als solche nicht in Frage gestellt.
Indessen ist stets im Streit, was nun wirklich unter Unabhängigkeit der Richter zu verstehen ist, wie es mit ihr in der Praxis, in der Wirklichkeit bestellt ist.
Unabhängigkeit der Richter meint zum einen die sachliche Unabhängigkeit. Sie bedeutet vor allem Weisungsfreiheit und dient dem Schutz der richterlichen Tätigkeit vor Einflüssen auf die Rechtsprechung, sei es durch die Exekutive oder von anderen nichtstaatlichen Stellen. Das Gericht soll seinen Richterspruch ohne Einflussnahme Dritter finden und fällen.
Von Einzelfällen abgesehen (z.B. hinsichtlich des brandenburgischen Justizministers) dürfte diese Weisungsfreiheit im allgemeinen beachtet werden; ein Richter lässt sich in seine Entscheidungen nicht hineinreden.
Tatsache ist aber, dass die richterliche Unabhängigkeit im Vorfeld von Verfahren mit großem Öffentlichkeitsinteresse und bzw. oder politischer Brisanz vielfach nur unzureichend geschützt ist. Hier wirkt sich in besonderer Weise die Pressefreiheit aus. Pressefreiheit und richterliche Unabhängigkeit stehen somit in einem gewissen Widerspruch zueinander.
Demgegenüber könne Kritik an gefällten Entscheidungen, so wird die Ansicht vertreten, der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege dienlich sein, meint das BVerwG.
Die Kritik an gefällten Urteilen, die so genannte Urteilsschelte, unterliegt keinen besonderen Schranken. Druck auf künftige Rechtsprechung ist allerdings auch hier untersagt (!). Das gilt auch für die Kritik durch andere staatliche Organe. Deshalb sollten sich Personen, heißt es, die auf die Beförderung der betreffenden Richter Einfluss haben oder die Dienstaufsicht über sie ausüben, sich einer »Urteilsschelte«, die im vorstehenden Sinne missverstanden werden könnte, besser enthalten.
Die Gesetzesbindung als Gegenstand der sachlichen Unabhängigkeit ist unbedingt. Ein Richter darf sich nicht als Gesetzgeber verstehen und über Gesetze hinwegsetzen. Er muss die betreffenden Gesetze auch anwenden, wenn er sie für falsch hält. Hält er ein bestimmtes Gesetz für verfassungswidrig, dann kommt in Betracht, dass er die Sache dem Bundesverfassungsgericht gem. Art. 100 Abs. 1 vorlegt. Denn hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und gegebenenfalls die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Allerdings muss der Richter dies sorgfältig prüfen und einen dahingehenden Vorlagebeschluss sehr sorgfältig begründen.
Das andere Kennzeichen der richterlichen Unabhängigkeit besteht in der so genannten persönlichen Unabhängigkeit, die sich nach Art. 97 des Grundgesetzes auf die hauptamtlichen und planmäßig endgültig angestellten Richter bezieht.
Nach Abs. 2 Satz 1 dieses Artikels ist ein solcher Richter nicht nur gegen Entlassung, Amtsenthebung, Versetzung und Zur-Ruhe-Setzung im förmlichen dienstrechtlichen Sinne geschützt; verboten sei auch jede andere Maßnahme, durch die der Richter von seiner richterlichen Tätigkeit ausgeschlossen werde.
Ausdrücklich wird erklärt, dass die Zuordnung richterlicher Aufgaben in den jeweiligen Geschäftsverteilungsplänen, durch die der »gesetzliche Richter« konkret bestimmt wird, nicht als Eingriff in die persönliche Unabhängigkeit der Richter anzusehen ist.
Als wesentliches Merkmal der persönlichen Unabhängigkeit der Richter gilt in der Bundesrepublik, dass die betreffenden Richter endgültig (nicht unbedingt auf Lebenszeit) angestellt sind. Es wird davon ausgegangen, dass durch diese persönliche Unabhängigkeit auch die sachliche Unabhängigkeit gestärkt wird. Zu dieser persönlichen Unabhängigkeit gehört auch, dass der Richter grundsätzlich nicht an bestimmte Arbeitszeit gebunden ist; er soll nicht unter Zeitdruck arbeiten müssen.
Unter dem Gesichtspunkt endgültiger Anstellung der Richter wurde kritisiert, dass in der DDR die Richter von den jeweiligen Volksvertretungen gewählt wurden; dadurch sei deren Unabhängigkeit beeinträchtigt gewesen. Hierbei wird übersehen, dass in vielen Ländern, auch in westlichen Demokratien, z.B. in den USA, Richter gewählt werden.
Richterwahl und Rechtsstaatlichkeit, darin eingeschlossen die Unabhängigkeit der Richter, schließen sich somit keineswegs gegenseitig aus.
Auch wird bei dieser Kritik der DDR-Justiz übersehen, dass die Richter des Bundesverfassungsgerichts nicht ernannt, sondern gewählt werden. Nach Art. 94 Abs.1 Satz 2 GG werden die Mitglieder des BVerfG »je zur Hälfte vom Bundestage und vom Bundesrate gewählt«.
Im Gesetz über das BVerfG ist das Wahlverfahren beschrieben. Die vom Bundestag zu berufenden Richter werden in indirekter Wahl gewählt (§ 6 Abs. 2 dieses Gesetzes).
Der Bundestag wählt nämlich nach den Regeln der Verhältniswahl einen Wahlausschuss für die Richter des Bundesverfassungsgerichts, der aus zwölf Mitgliedern des Bundestages besteht und in dem die beiden großen Volksparteien (CDU/CSU und SPD) hauptsächlich vertreten sind. Zum Richter am BVerfG ist gewählt, wer mindestens acht Stimmen auf sich vereint, so dass die andere große Fraktion im Wahlausschuss mit ihren Stimmen die Wahl eines nicht genehmen Kandidaten blockieren kann.
Daher hat sich in der Praxis herausgebildet, dass die beiden maßgeblichen und größten Volksparteien, die SPD auf der einen, die CDU/CSU auf der anderen Seite, sich miteinander dahingehend verständigten, jeweils solche Kandidaten anzubieten, die für die andere Seite erträglich sind. Um es ein bisschen vereinfacht zu auszudrücken: der Kandidat der CDU/ CSU sollte nicht zu »schwarz«, der Kandidat der SPD nicht zu »rot« sein.
Es handelt sich also um eine Art kompromisshaften Vergleichs, um die Arbeitsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts zu gewährleisten.
Viel wichtiger als die Frage, wie Richter in ihr Amt kommen, ist in der Praxis aber die Frage, welche Auffassungen und Überzeugungen die betreffenden Richter haben, und zwar vornehmlich in sozialpolitischer und rechtspolitischer Hinsicht. Denn von diesen Auffassungen und Überzeugungen hängt die Spruchpraxis der jeweiligen Richter maßgeblich ab. Unterschiedliche Auffassungen und Überzeugungen können zu unterschiedlichen Entscheidungen führen.
Aus jüngster Zeit bekannt ist die unterschiedliche Bewertung von Desertionsaufrufen gegen den NATO-Krieg gegen Jugoslawien - von 40 Berliner amtsgerichtlichen Urteilen lauteten 32 auf Freispruch.
(wird fortgesetzt)
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