Kann ich bitte zurück?

Das Stück »Kein Dach kein Boden« von Amina Gusner führt im Theater unterm Dach in einen »Zwischenraum«

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.

Vielleicht hätten sie ein Streicheln, eine Umarmung, ein verständnisvoller Zuhörer, nur ein wenig Aufmerksamkeit anderer davor bewahrt, die Tabletten zusammen mit reichlich Schnaps zu schlucken. Aber es ist niemand da. In ihrer Wohnung stehen schon ein paar leere Flaschen von Abenden zuvor. Die begrüßte sie immer beim Nachhausekommen wie den Kühlschrank oder die Wände. »Hallo! Wie war euer Tag?« Bodenlos einsam fühlte sie sich. Als eintönig empfand sie ihr Leben, erlebte schlaflos ihre Nächte. Üble Routine, Tag für Tag. Mal vermisste sie ihren Körper, mal die Seele. Nur die zähe Traurigkeit war immer da, verdammt noch mal. Hanna war es müde. »Ich will nichts wissen von der Welt und die Welt nichts von mir.«

Hanna hat sich ermordet. Nun steht sie da, so fragil wirkend und blass in goldglitzerndem Fummel und High Heels, nirgends angekommen, nur in einer Art Zwischenraum aufgeschlagen. Inga Wolff, die ansonsten im Volkstheater Rostock engagiert ist, spielt diese junge Frau berührend im Theater unterm Dach. Es ist so dunkel. Wo sind jetzt die toten Verwandten, die müssten doch hier sein, fragt sich Hanna. Die könnte sie doch treffen. Keiner zu sehen. Fragen über Fragen in diesem Dazwischensein, wo man gezwungen ist, auf sein Leben zurückzublicken.

Amina Gusners Stück »Kein Dach kein Boden« widmet sich dem Selbstmord. Schmerz und Verzweiflung angesichts einer unheilbaren Krankheit klammert sie aus. Ihr Fokus richtet sich auf das Leid durch mangelnde Zuwendung, durch Einsamkeit. Bei ihren Recherchen beschäftigte sie sich mit Abschiedsbriefen, die sich selbst Tötende hinterließen. Fragmente daraus brachte sie in ihre Inszenierung akustisch mit den Stimmen sechs sprechender Frauen und Männer ein. Dazu kurze, sich mitunter überschneidende Monologe von auch in diesem seltsamen Zwischenraum ohne Dach und Boden Angekommenen, zeitweise unterlegt mit elektronischem Sound und Gesang des Musikers Can Oral. »Ich hab mir das schöner vorgestellt, heller.« »Ich war auf meiner Beerdigung, es war kaum jemand da ... Freunde habe ich sowieso nicht.«

Deutlich wird in der Inszenierung die im weitesten Sinne von sich selbst und anderen verursachte Überforderung der Betroffenen, aber auch eine vor anderen verborgene, der Selbsttötung lange vorangegangene, nicht mehr erträgliche Isolation. Immer schwerer lastete Traurigkeit auf diesen Gequälten und lieferte sie einem hintergründigen Verschleißprozess aus. Für den Ausbruch aus der Schwermut fehlte ihnen letztlich die Kraft. Dabei lässt sich dieser Weg nur selbst bewältigen.

Ist das Thema traurig, das Stück liegt nicht bleischwer im Raum. Es trägt tragikomische Züge und ist vielmehr als ein Aufschrei zu verstehen, als ein Schrei nach Leben. Ob das hier ein Test sei, hört man Stimmen fragen. Oder: »Kann ich bitte zurück?« Nichts da. Gnade ist nicht vorgesehen, gibt es als einzige direkte Antwort, die Hanna erhält. Ansonsten bekommt sie nur Anweisungen. Regisseurin Amina Gusner setzt hierfür Can Oral als eine Art Torwächter ein. Ein Mann für den »Zwischenraum«; ähnlich dem, der in Mythen verschiedener Kulturen die Menschen über den Fluss ins Totenreich bringt oder das Tor zum Licht öffnet.

In der Ausstattung von Inken Gusner ist viel Raum. Wenige Stühle, besagte leere Flaschen, über 30 an Kabeln hängende Lichtquellen. Doch keine Frösteln bringende Atmosphäre ist spürbar. Inga Wolffs Darstellungskraft erwärmt den Raum. Ein wie ein hohes, offenes Fenster wirkendes Video im Hintergrund, das Can Oral gemeinsam mit Johannes Zacher schuf, lässt helle und dunkle Wolken vorüberziehen. Leichter Wind bewegt eine lange Gardine. Was man auch immer darin sieht - es könnte ein Ausweg sein. Am Selbstmord vorbei. Nicht zwangsläufig traurig, doch kaum unberührt verlässt man die knapp 90-minütige Inszenierung.

Nächste Vorstellungen: 8., 9. März

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