Eine Branche im Umbruch

Einen touristischen Masterplan für Deutschland fordert der Tourismusausschuss im Bundestag

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 7 Min.

Am gestrigen Freitag wurden Sie auf der Internationalen Tourismusbörse in Berlin mit dem Columbus Ehrenpreis 2017 der Vereinigung der Deutschen Reisejournalisten ausgezeichnet, weil Sie »in den letzten Jahren wie kein anderer auf Probleme innerhalb der Urlaubswelt hingewiesen und auf Lösungen gedrängt haben«. Was bedeutet er Ihnen?
Ich habe mich sehr darüber gefreut, sehe ihn als Anerkennung dafür, dass wir mit unserer Arbeit im Bundestag etwas für die Entwicklung des Tourismus allgemein und für den Deutschlandtourismus im Besonderen bewegen.

Sie sind seit 2009 Bundestagsabgeordneter und seitdem im Tourismusausschuss tätig. Wie kam es dazu?
Eigentlich wollte ich im Arbeitskreis 2, zu dem Umwelt, Naturschutz, Energie und Tourismus gehören, im Bereich Mobilität mitarbeiten. Doch dann fragte mich meine Fraktion, ob ich mir nicht vorstellen könnte, mich dem Thema Tourismus zu widmen, das bis dahin unbesetzt war. Es reizte mich, ein leeres Feld zu beackern, und sehr schnell merkte ich, dass dieses Arbeitsgebiet meinen Interessen sehr entsprach. Zumal es einen sehr engen Bezug zu meinem Wahlkreis, dem Saarland hat, für den ich mich unbedingt engagieren wollte.

Markus Tressel

Markus Tressel gehört der Fraktion Bündnis90/Die Grünen an. Er ist seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages und dort unter anderem Mitglied im Tourismusausschuss. Der 39-Jährige lebt im Saarland, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Mit Markus Tressel sprach Heidi Diehl.

Inwiefern, das Saarland ist doch eher als Industrieland bekannt?
Das stimmt, aber es ist ein Industrieland in Transformation. Das heißt, durch den Rückgang der jahrzehntelang alles bestimmenden Stahl- und Kohleindustrie sind neue Ideen gefragt, in welche Richtung sich das Land entwickeln könnte. Mitten in Europa gelegen, wird die touristische Bedeutung und Umgestaltung des Saarlands in den nächsten Jahren weiter an Bedeutung gewinnen.

Haben Sie die Entscheidung für den Tourismusausschuss je bereut?
Im Gegenteil. Ich merkte sehr schnell, dass ich mich auf einem Gebiet engagiere, das völlig neue Denkansätze erfordert. Für mich ist die Entwicklung des Tourismus in Deutschland eines der spannendsten Themen, weil sie alle Bereiche des Lebens betrifft - strukturpolitische, ökonomische, ökologische und demografische. Es ist eine Branche im Umbruch.

Können Sie das etwas genauer erläutern?
Deutschland war zwar schon immer das wichtigste Reiseland für die Deutschen, gewinnt aber seit den Krisen rund um das Mittelmeer und damit dem Wegfall ganzer Märkte eine ganz neue Bedeutung. Waren noch vor wenigen Jahren Länder wie Tunesien, Griechenland, Ägypten oder die Türkei stark frequentierte Ziele für den Haupturlaub, so bleiben heute viele lieber im eigenen Land. Hinzu kommen Veränderungen im Tourismus durch den Klimawandel oder die demografische Entwicklung. Je älter die Menschen werden, desto weniger zieht es sie in weit entfernte Regionen. Die Ansprüche an Qualität und Service steigen ebenso, wie die an behindertengerechte Ausstattung von Hotels und anderen öffentlichen Einrichtungen.

Ein weites Feld, würde Fontane sagen. Für all das braucht es engagierte Mitarbeiter in den touristischen Einrichtungen.
Ja, und hier liegt auch eines der größten Probleme. Wenn wir Qualitätstourismus bieten wollen, brauchen wir motivierte, gut ausgebildete und engagierte Fachkräfte. Und genau daran mangelt es massiv. Auch der Mindestlohn konnte daran bislang nichts ändern. Fakt ist: Die Branche ist bei jungen Leuten unbeliebt.

Warum?
Es sollte Politik und Verbänden doch zu denken geben, dass rund 50 Prozent aller Lehrlinge ihren Ausbildungsvertrag vorzeitig beenden. Gründe dafür liegen nicht nur in der schlechten Bezahlung, sondern insbesondere in den Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen. Es müssen endlich flächendeckend Verhältnisse geschaffen werden, dass Berufe insbesondere in der Hotellerie und Gastronomie, wieder attraktiver werden. Doch bei allen Maßnahmen darf nicht vergessen werden: Die Hotels müssen das auch bezahlen können. Was letztlich bedeutet, sich über Übernachtungspreise Gedanken zu machen.

Sie meinen, die Hotels in Deutschland sind zu billig?
Das kann man so nicht generell sagen, aber wenn man in einem Vier-Sterne-Hotel in Berlin für eine Übernachtung 49 Euro zahlt, kann sich jeder ausrechnen, auf wessen Knochen das geht. Dumpingpreise rechnen sich auf Dauer nicht - weder für das Hotel noch für den Tourismusstandort Deutschland. Die Preise müssen in einem angemessenen Verhältnis zum Angebot stehen. Andere Länder machen uns das vor.

Eine richtige Forderung, doch wie soll das erreicht werden?
Für grundlegende Änderungen, die auch das Image betreffen, ist die gesamte Branche gefragt, insbesondere die Verbände, aber auch die Politik. Ich finde, die Berufsverbände müssen ehrlicher mit dem Thema umgehen. Sie diskutieren gern über das Arbeitszeitgesetz, was ja auch legitim ist. Die Frage aber ist: Was müssen und können sie tun, damit die Berufe attraktiver werden? Viele haben noch nicht verstanden, dass es sich langfristig rächt, auf einen kurzfristigen monetären Benefit um den Preis der Ausbeutung ihrer Mitarbeiter zu setzen. Diese wollen klare Arbeitszeiten, gute Perspektiven, Verantwortung und eine ordentliche Bezahlung. Sonst sind sie schnell weg.

Welche weiteren Probleme sehen Sie im Deutschlandtourismus?
Wir brauchen dringend einen Masterplan, der klar definiert, wohin sich das Land touristisch entwickeln soll und was dafür notwendig ist.

Wo sehen Sie Schwerpunkte?
Wir engagieren uns im Tourismusausschuss stark für die weitere Entwicklung einer bedarfsgerechten touristischen Infrastruktur. Nur auf die Entwicklung der Metropolen zu setzen, erachte ich als großen Fehler. Frühere klassische Urlaubsregionen wie der Harz, der Bayrische Wald oder der Schwarzwald brauchen Geld für Investitionen, wenn sie nicht weiter abgehängt werden wollen. Manche Regionen haben bis zur Hälfte ihrer Übernachtungen verloren, weil sie nicht mehr den gewachsenen und neuen Ansprüchen der Gäste entsprechen. Doch insbesondere bei Pensionen und Gaststätten halten sich die Banken sehr bedeckt mit Krediten. Hier ist auch die Politik gefordert. Ein Umdenken ist dringend vonnöten, denn solange kein Geld fließt, um notwendige Investitionen in der Infrastruktur in Angriff zu nehmen, nutzt auch der schönste Masterplan nichts.

Wie könnte denn der Beitrag der Politik aussehen?
Indem sie zum Beispiel klare Förderrichtlinien aufstellt. Einen ersten Schritt hat die Bundesregierung inzwischen in Hinsicht auf Investitionszulagen für Beschneiungsanlagen in Mittelgebirgen gemacht. Die sollen künftig wegfallen und stattdessen Geld für alternative touristische Angebote in die Regionen fließen, um die Regionen für neue Zielgruppen attraktiv zu machen. Neben Geld sind dafür neue Denkansätze vonnöten.

Zum Beispiel?
Länderübergreifende Kampagnen, wie das Lutherjahr, sind ein kulturelles Aushängeschild. Doch was passiert im ländlichen Raum? Lange haben wir darüber diskutiert, wie man hier mit neuen Angeboten für mehr Attraktivität sorgen und somit dazu beitragen kann, die regionale Wertschöpfung anzukurbeln. Ein Ergebnis ist das Projekt »Kulturtourismus im ländlichen Raum«, das auch vom Bund mitfinanziert wird.

Viele Jahre spielte der Tourismus im Bundestag bestenfalls eine untergeordnete Rolle.
Bis 2009 eigentlich gar keine, der Tourismusausschuss wurde immer als Exot belächelt, kaum einer hat deren Arbeit als politisch wichtig angesehen, was wohl auch daran lag, dass man sich im Ausschuss eher mit soften Randthemen als mit harten Fakten beschäftigte.

Das hat sich ja nun gründlich geändert.
Ja, inzwischen werden wir als ernstzunehmende Partner wahrgenommen. Man muss sich ja nur mal vor Augen halten, dass durch die rund drei Millionen Beschäftigten im Bereich Tourismus jährlich etwa 350 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung erzielt werden, mehr als in der Auto- oder Chemieindustrie. Da kann die Branche auch eine starke Lobby verlangen. Dennoch wollte der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel 2013 den Tourismusausschuss abschaffen und in den Wirtschaftsausschuss eingliedern. Das konnten wir zum Glück parteiübergreifend verhindern. Wohl auch deshalb, weil wir immer wieder den Finger in offene Wunden legen. Wie Fragen des Verbraucherschutzes, zu denen z.B. auch das Problem von Giftstoffen in der Kabinenluft von Flugzeugen gehört. Ein Thema, das durch unseren Ausschuss erst in die öffentliche Wahrnehmung gebracht wurde.

Columbus Ehrenpreis

Der Columbus Ehrenpreis der Vereinigung der Deutschen Reisejournalisten wird seit 1976 alljährlich an Persönlichkeiten oder Institutionen verliehen, die sich in besonderer Weise für den Tourismus einsetzen. Zu den Preisträgern gehören César Manrique, spanischer Künstler und Tourismusentwickler; Armin Vielhaber, Herausgeber der »Sympathie Magazine«; Heinz Fuchs von »Tourism Watch«; Reinhold Messner, Bergsteiger, Extremsportler, Museumsbesitzer, und Prof. Dr. Harald Zeiss, TUI Nachhaltigkeitsmanager.

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