Wer zahlt eigentlich den Billigflug?

Wie durch Preisdumping im Luftverkehr ein obszöner Niedriglohnsektor entstanden ist

  • Yves Bellinghausen
  • Lesedauer: 3 Min.

Einen Tag nach dem Streik sieht Tegel so aus, als wäre die Berliner Luftverkehrswelt wieder in Ordnung: Taxis fahren vor das marode Terminal und werfen Anzugträger ab, chinesische Touristen suchen die S-Bahn zum Alexanderplatz, die es nicht gibt. Schon am Montag könnte der Betrieb wieder stillstehen. Die Gewerkschaft ver.di hat angedroht, ab kommender Woche unangekündigt streiken zu wollen.

Ob es gerechtfertigt ist, für einen Euro mehr pro Stunde den Flughafen lahmzulegen? »Unter den Bedingungen, unter denen wir grade arbeiten, geht es auf jeden Fall nicht weiter«, findet André Fernitz. Er arbeitet seit 27 Jahren auf dem Vorfeld. Maschinen entladen, beladen, Flugzeuge aufs Rollfeld schieben. »Ein Knochenjob«, sagt er.

André Fernitz sieht eigentlich noch fit aus mit seinen 55 Jahren. »Obwohl ich hier arbeite«, schiebt er witzelnd hinterher. Dabei hat die Arbeit auf dem Vorfeld Spuren hinterlassen: Rücken, Bandscheibe - vielen Kollegen gehe es aber schlimmer, sagt er. »Man muss sich das mal vorstellen: Eigentlich soll man hier ums Flughafengelände nicht joggen gehen, weil das schlecht für die Atemwege ist. Wir vollbringen auf dem Flughafengelände jeden Tag Höchstleistungen.« 20 Kilogramm schweres Gepäck hievt er im Minutentakt aus und in die Maschinen. Ungefähr 1300 Euro netto bekommt Fernitz für den Vollzeitjob im Monat. Ohne Schmutz- oder Gefahrenzulage. Ist ein Euro mehr pro Stunde da überhaupt genug? Es wäre wenigstens mal eine Perspektive, findet er. »Das würde der einzelne Fluggast gar nicht merken. Das muss doch in einem Land wie Deutschland möglich sein«, sagt Fernitz fassungslos. »Schauen Sie sich diese endlosen Parkplatzlandschaften an. Fünf Euro die Stunde, aber für uns ist nicht einer da?«

Die Arbeitgeber haben in den letzten Jahren die Preise für die Bodenarbeit immer weiter gedrückt. Die gleiche Arbeit muss heute von weniger Menschen gemacht werden, der Zeitdruck habe enorm zugenommen. Früher hatte das Bodenpersonal noch bis zu einer Stunde für einen Turnaround gehabt. Turnaround, so nennt man in der Luftfahrt die Zeit, die eine Maschine am Boden bleibt, bevor sie wieder abhebt. In besonders krassen Fällen stoppen die Maschinen heute nur noch 25 Minuten in Tegel, bevor sie wieder starten. Nur so konnten Billigfluggesellschaften nach Berlin gelockt werden. Den Preis für den 30-Euro-Mallorca-Urlaub zahlen am Ende Leute wie Fernitz mit.

Trotzdem hat er nicht vor, den Job zu wechseln. »Wo soll ich denn hin, so verschlissen, wie ich bin?« Gut möglich aber, dass sein Arbeitgeber AGSB ihn kündigen wird. Denn ob seine Dienste benötigt werden, hängt davon ab, ob AGSB eine neue Lizenz für die Bodenarbeit bekommt. Der Flughafen vergibt die Lizenzen alle sechs, sieben Jahre. »Die Unsicherheit ist für viele unerträglich«, sagt Fernitz. Ein Euro mehr die Stunde wäre schön für ihn, aber lange nicht genug.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal