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Musikinstrumente leihen in Berlin: Miet mich, ich bin ein Cajon
In Berlin gibt es etliche Möglichkeiten, Musikinstrumente auszuprobieren und zu lernen, ohne sie zu kaufen
Tabea Krah erklärt der achtjährigen Alisa, wie eine Geige zum Spielen angelegt wird: »Das ist der Kinnhalter, da kommt das Kinn drauf. Und jetzt würde ich dich bitten, den Arm so auszustrecken und die Schnecke so zu greifen.« Krah ist aber keine Lehrerin, sondern Geigenbauerin. Ihre kleine Werkstatt in Berlin-Kreuzberg ist nicht nur mit Arbeitstischen, Werkzeug und Material ziemlich voll, sondern beherbergt auch etliche Instrumente. Von denen sind nicht alle zum Reparieren hier – Krah bietet auch eigene Geigen und Cellos zum Verleih an. Deshalb ist Alisa heute mit ihrer Mutter da.
»Ich habe mir schon jahrelang Geigenunterricht gewünscht«, berichtet das motiviert wirkende Mädchen. »Jetzt leihen wir für eine Probestunde eine Geige aus, damit wir keine kaufen müssen.« Mutter Elena erklärt, dass sie schon seit Langem auf Wartelisten bei staatlichen Musikschulen stehe. Dort gibt es auch Leihinstrumente. Jetzt habe sie die Chance auf einen Platz bei einer privaten Musikschule, die nicht so teuer wie viele andere ist. Für die Probestunde ist aber ein eigenes Instrument nötig.
Tabea Krah gibt Alisa und ihrer Mutter Ratschläge zum Umgang mit dem Instrument. Zum Beispiel zum Ort der Lagerung, der keinen großen Temperaturschwankungen unterliegen sollte: »Feuchtigkeit und Trockenheit machen etwas mit dem Holz, also sollte die Geige nicht neben der Heizung aufbewahrt werden«, erklärt Krah. Auch wie der Bogen gespannt, gehalten und mit Harz eingerieben wird, bekommt die angehende Nachwuchsmusikerin gezeigt.
Günstig, vor Ort und im Internet
So eine Hilfe kann von den Unternehmen, die bundesweit Mietinstrumente verschicken, nicht geleistet werden. Im Internet finden sich etliche Instrumentenvermieter. Die monatlichen Gebühren variieren stark, je nach Anbieter und Qualität beziehungsweise Kaufpreis des Instruments. Klarinetten und Trompeten zum Beispiel gibt es schon ab 15 Euro monatlich. Die Geigen sind zum Teil teurer, zum Teil ein bisschen billiger als bei Tabea Krah. Deren Basispreise, auf die je nach Ausstattung etwas obendrauf kommt, belaufen sich für eine Geige auf 20 Euro monatlich, für eine Kindergeige 15 Euro, bei den Cellos sind es 30 beziehungsweise 25 Euro. Für 5 Euro mehr pro Monat repariert sie eventuelle kleine Schäden wie Kratzer – es ist eine Art Versicherung.
Das Preisniveau ist, verglichen mit den Kaufpreisen, relativ niedrig – vor allem bei den Cellos. »Wenn man ein gutes Cello haben will, dann geht das ab ungefähr 3000 Euro los«, hält Krah fest. »Kindercellos kosten ab 1500 Euro.« Abzuraten sei von den Instrumenten, die gelegentlich von Supermarktketten angeboten werden. »So eine Geige kostet mit Kasten und Bogen nur 50 oder 100 Euro«, berichtet die entsetzte Handwerkerin. »Das ist dann dieser schnell gebaute Schrott. Diese Instrumente sind nicht spielfähig.« Sie kenne Fälle, wo solche Instrumente von Beginn an nicht wirklich funktionierten, weil sie sehr schlecht klangen oder weil die Intonierung schlicht falsch war, da die Saiten nicht die richtige Position hatten. Wenn sie das reparieren muss, ist das teurer als der Kaufpreis.
Von der Musikschule des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg weiß Tabea Krah, dass es dort Instrumente sehr unterschiedlicher Qualität gibt, aber nicht immer Geld für Reparaturen und Restaurierungen. Saiten und Bogenbezüge müssten da sowieso selbst bezahlt werden. Mitunter kann es sich also auch für jemanden, der dort einen der begehrten Plätze bekommt, lohnen, sich für ein Leihinstrument anderweitig umzuschauen. Auch andere Instrumentenbauerinnen und -bauer verleihen welche.
Sowohl bei ihnen als auch bei Anbietern im Internet ist die Möglichkeit des Mietkaufs gängig. Wer das gemietete Instrument irgendwann kaufen will, bekommt einen Teil der gezahlten Miete auf den Kaufpreis angerechnet. »Ich mache das so wie viele meiner Kollegen: Ein halbes Jahr der Miete wird angerechnet«, erklärt Krah. Die von ihr vermieteten Instrumente hat sie allerdings nicht selbst gebaut – die wären viel teurer. Die Streich- und Saiteninstrumentenerzeugerin, wie ihre in Österreich erworbene Berufsbezeichnung lautet, hat die Instrumente gekauft und spielfertig gemacht.
Zwei Drittel davon würden von Kindern gespielt, berichtet Krah. Bei Streichinstrumenten für Kinder bietet sich das Mieten besonders an, denn sie können noch nicht dieselben Instrumente wie Erwachsene spielen, brauchen also irgendwann ein größeres.
Instrumentenvielfalt in Bibliotheken
In Friedrichshain schlägt der Bibliothekar Hanno Koloska in seinem Büro mit drei verschiedenfarbigen und verschieden großen Plastikrohren auf seinem eigenen Körper herum. »Das ist ein C-Dur-Dreiklang«, erklärt er. Boomwhacker heißen die Klangrohre, die mit ihren je nach Tonhöhe verschiedenen Farben der Musikpädagogik für Kinder dienen.
»Instrumente sind bei uns ein Ausleihrenner.«
Hanno Koloska
Bibliothekar und studierter Fagottist
In der Zentralbibliothek von Friedrichshain-Kreuzberg werden 83 Instrumente verliehen, ungefähr die Hälfte davon Schlaginstrumente aus verschiedenen Teilen der Welt. Zum Beispiel eine Steel Tongue Drum, ein hohler Metallkörper, der an verschiedenen Stellen verschieden klingt und sich mit seinem warmen Klang etwa für Meditationen oder andere ruhige Tätigkeiten zu eignen scheint. »Sie wird vor allem für asiatische Musik verwendet«, erklärt der studierte Fagottist mit vielen Jahren Orchestererfahrung, während er sie vorführt. Schlaginstrumente eignen sich besonders gut zum Verleihen an breite Bevölkerungsschichten, weil sie ohne viel Übung gespielt werden können. Viele von ihnen sind für kleine Kinder und würden auch von Kitas ausgeliehen, erklärt Koloska.
In Berlin bieten sechs große Bibliotheken Instrumente an. »Wir hier in Friedrichshain-Kreuzberg waren die Pioniere, als wir 2018 damit begannen«, merkt Koloska an. Am meisten, nämlich 376 Stück, gebe es in der Ingeborg-Drewitz-Bibliothek im Stadtteil Steglitz. Blasinstrumente würden nur von der Mark-Twain-Bibliothek in Marzahn angeboten. Es handelt sich aber fast nur um verschiedene Blockflöten, wie die im Internetauftritt der Bibliothek einsehbare Liste zeigt. »Wir verleihen aus hygienischen Gründen keine Blasinstrumente, weil wir dann viel putzen müssten«, erklärt Koloska. Die Ausleihe ist mit Bibliotheksausweis überall kostenlos.
Im Foyer des Erdgeschosses, in einer Vitrine zwischen Eingang und Ausleihtresen liegen eine Gitarre, eine Geige und eine Ukulele. »Man sieht hier nicht wirklich viel, weil 80 bis 90 Prozent der Instrumente immer ausgeliehen sind. Sie sind bei uns ein Ausleihrenner«, sagt der Musikbibliothekar.
Mehrere Berliner Bibliotheken bieten zudem Übungsräume an, in denen ständig Instrumente und Musikanlagen nutzbar sind. In Marzahn stehen da unter anderem zwei Klaviere, auch in der Amerika-Gedenk-Bibliothek in Kreuzberg kann ein Klavierraum pro Person für eine Stunde pro Woche gebucht werden.
Elektronische Jam-Sessions
Der Übungsraum in Hanno Koloskas Bibliothek ist nicht nur mit E-Gitarre, Geige und (zur Lärmvermeidung) elektronischem Schlagzeug ausgestattet – und somit explizit auch für Bandproben gedacht –, sondern auch mit Geräten für elektronische Musik. Soeben findet der monatliche Workshop für elektronisches Musizieren statt, genannt »Electronic Music Jam«. Acht Leute eher jüngeren Alters sitzen um einige Tische und tippen auf Tabletcomputern herum, die nicht nur zusammengeschaltet, sondern auch mit einer Anlage verbunden sind, die den Raum über aufgeständerte Lautsprecher mit Musik füllt.
Angeleitet werden die Teilnehmenden vom Musikpädagogen Gisbert Schürig. Er führt aus: »An Musikschulen werden vor allem die Instrumente angeboten, die man motorisch spielen muss. Dieses Stegreifkomponieren, wie es eigentlich seit den 70ern, spätestens den 80ern in der elektronischen Musik gängig ist, ist musikpädagogisch unterversorgt.« Mit Stegreifkomponieren meint er, dass auf allen zusammengeschalteten elektronischen Geräten derselbe Takt durchläuft und jeder Teilnehmende die Musik, die sein Gerät erzeugen soll, in ein Schema schreibt. Es ist also keine Fingerfertigkeit zum Erzeugen einer bestimmten Melodie oder Rhythmik nötig, sondern hier wird komponiert. Willkommen sind Neulinge wie auch Leute, die eigene Geräte für elektronische Musik mitbringen.
Die Amerika-Gedenk-Bibliothek hat sogar einen Schwerpunkt auf elektronischen Instrumenten, übrigens auch für Kinder. Regelmäßig wird in die Bedienung diverser Geräte eingeführt, darunter auch »experimentelle Klangmaschinen«.
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