Die vermutlich süßeste Maschine der Kindheit

Kaugummiautomaten werden wiederbelebt - «Bubblegum» gibt es für 10 Cent, Kriegerfiguren sind teurer

  • Antonia Lange, Stuttgart
  • Lesedauer: 3 Min.

«Bubblegum» gibt es für 10 Cent, «Spielwaren in Kapseln» für 20 oder 50 Cent. Die Kriegerfiguren sind teurer. Der Kaugummiautomat, der an einer Hauswand in der Stuttgarter Hegelstraße hängt, ist rot und ein bisschen rostig. So oder so ähnlich sehen die meisten Kaugummiautomaten in Deutschland aus. Haben sie so eine Überlebenschance?

Wer nach ihnen Ausschau hält, findet einige: In der Nähe von Supermärkten, in Wohnvierteln mit Kindern - und auf Instagram. Zumindest im Internet sind die Kästen inzwischen Kunstobjekt statt Kleinkramspender. Vor allem in Großstädten werden die Automaten auch mit Kunst gefüllt - und neu gestaltet.

«Es überleben die, die kreativ sind und sich wirklich Gedanken über die Kunden von morgen machen», sagt Paul Brühl, Geschäftsführer vom Verband der Automatenfachaufsteller im rheinländischen Langenfeld. «Die Geräte ähneln sich vom Typ her - auch die Neuen», räumt er mit Blick auf die recht abgegriffene Optik ein. Erste Anbieter machten sich Gedanken über kreative Füllungen. Bisher dominieren Kaugummi, Schmuck und Spielsachen. «Es sind im Prinzip schon die Klassiker», so Brühl. «Beim Kaugummi, den ich im Supermarkt kaufe, bekomme ich für mein Geld oft mehr. Wer als Aufsteller clever ist, setzt auf ein vernünftiges Produkt.» Immerhin: Die knallbunten Kugeln aus dem Kasten gebe es im Supermarkt so nicht zu kaufen, nur beim Großhandel.

Inzwischen gibt es eine Gegenbewegung. Im Stuttgarter Westen, gar nicht weit entfernt vom rostig-roten Klassiker, haben Kreative zwei Automaten angebracht - mit Kunst statt Kaugummi. Ab einem Euro können Passanten aus den goldfarbenen und wild bemalten Kästen skurrile Dinge ziehen - von Basteleien über Gedichte bis hin zu Anhängern in Zahnform. Auch andernorts gibt es Kunstautomaten, etwa in Potsdam und Berlin.

Dahinter stehen nicht die professionellen Betreiber. Denn das Geschäft lohnt sich nur in der Masse. «Sie machen da keine Reichtümer», sagt Brühl. Ein Kaugummiautomat werfe im Jahr bis 100 Euro Umsatz ab. Für Betreiber mit weniger als 100 Automaten lohne das nicht. Der Verband schätzt, dass es bundesweit zwischen 500 000 und 800 000 Kaugummiautomaten gibt - und etwa 250 Aufsteller den Löwenanteil daran haben. Einige Automaten haben es schon zur Berühmtheit gebracht - im Internet. Denn inzwischen dienen sie immer wieder Fotografen als Kunstobjekt.

Katrin Sommer aus Burscheid hat einen Automaten an der eigenen Hauswand: «Die Leute machen unglaublich viele Selfies damit.» Sommer, die auch Snackautomaten betreibt, macht sich das Internet zunutze: «Meine Arbeit ist 90 Prozent bei Social Media», sagt sie.

Künstler Max Schwarck lädt Automatenfotos bei Instagram hoch. Er zog in den beiden vergangenen Jahren durch Berlin und portätierte «die vermutlich süßeste Maschine der Kindheit», wie er es nennt. Kaugummiautomaten sind «vom bloßen Verkaufsautomaten zu einem Zeichenspeicher von Stadtkultur umfunktioniert» worden, schreibt Schwarck auf seiner Internetseite. Damit meint er die zahlreichen Sprüche, die Passanten an die Kästen geklebt oder gekritzelt haben - von «Kein Tier ist egal» bis «Ich liebe mein Leben». «Jeder Automat erzählt seine individuellen und einzigartigen Geschichten.» Eine dürfte immer darunter sein: die der ziemlich klebrigen Kindheitserinnerung. «Diese Automaten haben eine Bedeutung. Daran probieren die Kinder ihre ersten Kauferlebnisse aus. dpa/nd

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