Die Legende, die aus dem Keller kam

Kurz vor dem 100. Geburtstag seines Gründers zieht das Berliner Synchronstudio Wenzel Lüdecke um

  • Marc Hairapetian
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenzel Lüdecke, am 26. März 1917 in München geboren und am 5. September 1989 in Berlin verstorben, führte ein wahrlich turbulentes Leben: Der Sohn eines Rittmeisters a.D. bricht 15-jährig den Schulbesuch ab, um sich am Theater als Laufbursche zu verdingen. Seine Risikobereitschaft zahlt sich aus: Bereits mit 20 erhält er einen Vertrag bei der UFA und schreibt 1938 das Drehbuch für den Krimi »Großalarm«. Im Zweiten Weltkrieg ist er als Soldat der Wehrmacht im Afrika-Korps unter Generalfeldmarschall Erwin Rommel stationiert. Nach dem Zusammenbruch der Nazi-Diktatur verdingt er sich eine Zeit lang als Schnapsschmuggler. Doch als die Alliierten im Besatzungsstatut festlegen, dass es in der Bundesrepublik keine Importbeschränkungen für ausländische Filme geben wird, erkennt er die Zeichen der Zeit und gründet ganz seriös die Berliner Synchron. Als Einziger bekommt Lüdecke von den Besatzungsmächten die Genehmigung, fremdsprachige Leinwand-Epen für das deutsche Publikum zu vertonen und verschafft seinem mit der damaligen neuesten Technik ausgerüsteten Unternehmen über ein Jahrzehnt eine Monopolstellung.

Der Rest ist Legende: Im zuvor eher geruhsamen Lankwitz, gelegen im östlichsten Südwesten Berlins, geben sich fortan Weltstars die Klinke in die Hand, um für die deutschen Fassungen ihrer englischsprachigen Filme selbst zu sprechen: Romy Schneider stand für die Hollywood-Komödie »Leih mir deinen Mann« (1964) hier vor dem Mikrofon. Ebenso Oskar Werner, der 1965 unter der Dialogregie von Klaus von Wahl bei »Der Spion, der aus der Kälte kam« seinen DDR-Abwehrchef Fiedler mit unverkennbar nuancenreich sowie melodischem Timbre »eindeutschte«. Werner und von Wahl arbeiteten 1966 bei der deutschen Version von Truffauts Dystopie »Fahrenheit 451« erneut erfolgreich zusammen. Und der stets wie aus dem Ei gepellte Lüdecke lud sogar Hollywood-Komiker Danny Kaye (»Der Hofnarr«, 1956) nach Lankwitz ein, wo dieser im Atelier seiner deutschen Stimme Georg Thomalla beim Synchronisieren zuschaute.

In 67 Jahren beschäftigte man hier über 3000 Synchronschauspieler, Autoren und Regisseure. 8000 Sprachfassungen (darunter Klassiker wie »Psycho«, »Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte die Bombe zu lieben« und »Der Pate«, aber auch Fernsehserien wie »Kommissar Wallander«, »Supernatural« und zuletzt das Remake der Sklavenserie »Roots« für die deutsche Abteilung des Pay-TV-Senders History Channel) wurden hergestellt. Neben der ebenfalls in Berlin ansässigen Interopa Film und der aus München stammenden Film- und Fernsehsynchron GmbH (FFS) gehört man nach wie vor zu den Großen innerhalb eines Metiers, in dem ein erbitterter Konkurrenzkampf besteht: »Der heute allgemein herrschende Zeitdruck lässt kreative Entscheidungen schwieriger werden«, sagte Aufnahmeleiter Tobias Jahn: »Zudem sind die Budgets geringer.«

Nun sitzt man auf gepackten Koffern, denn am 27. März zieht die Berliner Synchron nach Schöneberg um auf den neu erschlossenen EUREF-Campus nahe dem Gasometer. Das historische Gebäude mit seinen im Keller gelegenen Aufnahmeräumen wird dann abgerissen. Bei allen Verdiensten kämpft der Branchenriese nämlich ums nackte Überleben. Die Berliner Synchron Holding AG wurde im letzten Jahr in Cinemedia AG umbenannt, die kurz darauf in die Insolvenz ging, während Wolfram Lüdecke, der Adoptivsohn Wenzel Lüdeckes, sich in den Ruhestand verabschiedete. Die Berliner Synchron GmbH (BSG), die noch 2014 den Umsatz um 19 Prozent auf 8,8 Millionen Euro steigern konnte und einen Überschuss von einer halben Million Euro erwirtschaftete, blieb als Tochter der AG aber weiter bestehen. Am 26. August 2016 erwarb die S&L Medien Gruppe 100 Prozent der Anteile am traditionsreichsten deutschen Synchronunternehmen.

BSG-Geschäftsführer Marcus Dröscher verspricht sich durch die Übernahme, dass »vor allem unsere Kunden in Form von erhöhten Qualitätsstandards sowie einem wirtschaftlich stabilen Partner profitieren können«. Wenn er damit recht behalten sollte, ließen sich vielleicht dann auch irgendwann wieder Weltstars für die Synchronisation gewinnen - nur dass sie wohl heute nicht mehr so schöne, ausdrucksstarke Stimmen wie die von Romy Schneider und Oskar Werner haben werden.

Am 26. März strahlen die Radiosender WDR 5 (9.45 bis 10 Uhr) und WDR 3 (17.45 bis 18 Uhr) zum 100. Geburtstag von Wenzel Lüdecke ein »ZeitZeichen« aus.

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