Pflege ist Vertrauenssache

Anklage wegen falscher Abrechnungen

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 3 Min.

Betrug ist erst dann Betrug, wenn er einwandfrei nachgewiesen werden kann. Wenn die Anklage der Staatsanwaltschaft grundlegende Mängel aufweist, steht es schlecht um die Beweisführung. So scheint es in diesem Fall zu sein. Zwei Frauen, 50 und 55 Jahre, sind des Betrugs angeklagt. Sie sollen als Inhaberinnen von ambulanten Pflegediensten zwischen 2011 und 2013 in einer Vielzahl von Fällen Leistungen an Patienten von Pflegehilfskräften statt von examinierten Pflegefachkräften ausführen haben lassen. Insgesamt 321 Fälle will die Staatsanwaltschaft auflisten, wo so etwas geschehen sein soll.

Doch der Prozess wird zu einem Härtetest für alle Beobachter. Noch bevor es losgeht, stellen die Verteidiger den Antrag, die Anklage nicht zur Verlesung kommen zu lassen, da sie fehlerhaft und somit gesetzeswidrig sei. Das Verfahren sei somit wegen fehlerhafter Anklageschrift einzustellen. Es sei nicht genau klar, erklärten die Rechtsbeistände, welches Geschehen Gegenstand des Verfahrens sei. Wenn jemand getäuscht wurde, muss klar sein, wer wen getäuscht habe. Es müssen Tathergang, Tatort und Tatzeit genau beschrieben werden. Das sei nicht der Fall. Es sei nach Anklageschrift nicht klar, was falsch abgerechnet wurde und was nicht. Somit könne nicht weiter verhandelt werden.

Es folgen Stunden für starke Nerven: drei Minuten Verhandlung, 20 Minuten Pause, zwei Minuten Verhandlung, 40 Minuten Unterbrechung. Als die Frühlingssonne ihren höchsten Punkt erreicht hat, befindet der Richter, dass es Zeit sei für eine Mittagspause. Die Angeklagten hätten ein Recht, jetzt in Ruhe zu speisen. Außerdem wäre es nicht schlecht, wenn sich Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung mal zu einer zwanglosen Plauderei verabreden könnten. Und so plätschert das Verfahren in den Nachmittag, ohne dass irgendetwas großartig geschehen wäre.

Anzeigen wegen Pflegebetrugs gibt es in Berlin häufig. 2015 waren es 43, 2014 genau 29. Für die Zeit der letzten vier Jahre werden nach Aussagen der Gesundheitssenatsverwaltung auf Anfrage der Grünen insgesamt 120 Strafanzeigen aufgelistet. Doch nur die wenigsten kommen zur Anklage, weil eine strafbare Handlung oft nicht nachweisbar ist. Denn es müsste dazu genau Buch geführt werden, wo welche Pflegekraft zum Einsatz kam und welche Dienstleistungen dabei erfüllt wurden. Wird die Buchhaltung schriftlich und mit Abrechnungszetteln geführt, ist eine nachträgliche Überprüfung kompliziert. Nun die elektronische Buchführung bei ambulanten Pflegediensten könnte die Gefahr des Betrugs minimieren. Und je mehr Pflegedienste in einer alternden Gesellschaft benötigt werden, umso mehr wächst die Gefahr des Abrechnungsbetrugs - wenn der Gesetzgeber nicht klare Regelungen zur Abrechnung schafft. Daran scheint er aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht interessiert zu sein. Und so ist auch die gestrige Holperveranstaltung vor Gericht nur ein weiterer Beleg, wie schwer es ist, hier klare Verhältnisse zu schaffen.

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