Wie deutsches Recht die Mafia schützt

Der Umgang mit der Autorin Petra Reski offenbart, wie wenig Deutschland bereit ist, ernsthaft gegen die Organisierte Kriminalität vorzugehen

  • Sandro Mattioli
  • Lesedauer: 5 Min.

Nehmen wir einmal an, Luigi Rossi ist Mafioso in Stuttgart, Alberto Bianco in München, Pino Ferro in Erfurt und Nicola Tonno in Frankfurt am Main. Die Herren unterhalten die entsprechenden Kontakte, sind mit bekannten Mafiosi im Bunde, ja, es existieren sogar Zeugenaussagen und offizielle Dokumente in Italien, die keinen Zweifel daran lassen, dass diese Personen der Organisierten Kriminalität angehören. Und nehmen wir einmal an, ich als Journalist habe das recherchiert und schreibe diese Information in diesen Artikel. Weil ich denke, dass die Öffentlichkeit ein Interesse hat, zu erfahren, wer in ihrem Land mit Drogen und Waffen handelt und die immensen Gewinne vor allem aus dem Kokaingeschäft in die legale Wirtschaft investiert und so Schritt für Schritt unsere Gesellschaft unterwandert. Was dann passiert, ist leicht vorauszusehen: Die Beschuldigten werden mich verklagen, werden Recht bekommen, ich muss Schadenersatz zahlen und noch dazu die Gerichtskosten. Dieser Artikel hier würde mich auf diese Weise schnell mehrere zehntausend Euro kosten und das »nd« ebenso. Dies ist auch der Grund, weshalb die Namen erfunden sind und nicht reale Beispiele, wie sie jede Journalistin und jeder Journalist, die oder der sich ernsthaft mit der Mafia befasst, nennen könnte.

So wie es Petra Reski seit Jahren tut. Die Autorin und Journalistin berichtet regelmäßig über die italienische Mafia, auch in deutschen Medien. Der Umgang der Wochenzeitung »Freitag« mit einem ihrer Artikel hat nun eine Welle der Empörung ausgelöst. Reski schrieb über Italiener, die in Thüringen ihre Basis haben und von dort Millionen Euro der ‘ndrangheta investieren würden. Aufhänger des Textes war ein Urteil, das wenige Monate zuvor vom Landgericht Leipzig gefällt worden war. Es gab der Klage eines Mannes statt, der gegen eine MDR-Fernsehdokumentation mit dem Titel »Provinz der Bosse – Die Mafia in Mitteldeutschland« vorgegangen war. Er ging schließlich auch gegen Reskis Berichterstattung vor. Er sah erneut seine Persönlichkeitsrechte verletzt und klagte auf Unterlassung - zunächst gegen die Journalistin, dann auch gegen den »Freitag«. Und bekam Recht. Petra Reski soll nun zahlen. Der »Freitag«, so die Autorin, verweigere ihr finanzielle und juristische Unterstützung. Insbesondere die Äußerungen des Geschäftsführers Jakob Augstein mögen skandalös sein, mindestens ebenso ist es die Gerichtsentscheidung selbst.

Warum aber bekommen diese Herren Recht? Weil in Deutschland die Mitgliedschaft in der Mafia nicht strafbar ist und somit kaum Gegenstand von Ermittlungen. Dies führt zu so absurden Konsequenzen wie im Fall der 'ndrangheta-Ableger im Bodenseeraum. Dort ist die kalabrische Mafia quasi flächendeckend vertreten, selbst in kleinen Städten gibt es Zellen. Das baden-württembergische Landeskriminalamt hat die Gruppe dort sogar seit 2009 intensiv im Blick. Es gab zwei Jahre lang intensive Abhörmaßnahmen, die keinen Zweifel daran ließen, dass man es mit Mafiosi zu tun hatte. Am Ende konnte man den Männern nach deutschem Recht dennoch nicht am Zeug flicken. Erst mit Haftbefehlen aus Italien wurde die Leitung der Mafiaorganisation dort abgeräumt. Das Fußvolk dagegen blieb unangetastet.

Man kann es vereinfacht auch so sagen: In Deutschland ist nur Mafioso, wer in Italien als Mafioso verurteilt worden ist. Dass dies die wenigsten der ein- bis zweitausend Mitglieder der Mafia sind, die sich hierzulande aufhalten, liegt auf der Hand.

Genau diesen Umstand nutzen nicht nur die Mafia-Verdächtigen in Thüringen aus. So bekam die gerichtliche Auseinandersetzung, zu der sich das MDR-Team gezwungen sah, weit weniger Aufmerksamkeit als das Verfahren, dem sich Petra Reski stellen musste. Ein Artikel der »FAZ« hat den Gerichtsentscheid zulasten von Petra Reski und die Hintergründe vor wenigen Tagen ausführlich dargestellt.

Das Problem ist: Die deutsche Rechtslage sorgt dafür, dass es weitgehend unmöglich ist, über die Mafia zu berichten. Würde es sich bei der 'ndrangheta nur um eine Hütchenspieler-Truppe handeln, wäre das nicht allzu schlimm. Bedenkt man aber, dass die Organisation dutzende Milliarden Euro im Jahr verdient und dieses Geld gezielt in der legalen Wirtschaft einsetzt, wird die Bedeutung klarer. Gesetzliche Anpassungen sind dringend nötig, um die Praktiker dieses Geschäfts ans Licht zu holen.

Wie die Geldwäsche abläuft, zeigt ein Beispiel eines italienischen Unternehmers. Der Mann wollte ein Fabrikareal für weit über 100 Millionen Euro kaufen. Er könne ohne eine Bankenfinanzierung bezahlen, er habe die Mittel liquide, sagte er dem Verkäufer. Die italienische Mafia investiert inzwischen längst mithilfe deutscher Freunde ihr Kapital und das nicht in Tausendereinheiten, sondern im Millionenbereich. All das sind Geschäfte, die nicht in einem Graubereich unserer Gesellschaft ablaufen, sondern mitten unter uns.

Als ich vor vielen Jahren anfing, zum Thema Mafia zu recherchieren, glaubte ich, dass niemand weiß, wer in Deutschland zur Mafia gehört. Meine naive Vorstellung war, dass die Leute andernfalls festgenommen würden. Denn zur Mafia gehören ja nur Gangster. Inzwischen ist mir klar, wie falsch ich lag: Die Polizei kennt die Namen der Mafiosi in ihrem Gebiet, Journalisten, die es wissen wollen, kennen ihre Namen. Nur sagen bzw. schreiben darf sie niemand.

So war es vor wenigen Jahrzehnten in Norditalien. Auch dort wollte die Politik den Eindruck vermeiden, man habe Mafia-Probleme. Inzwischen hat die 'ndrangheta dort ganze Geschäftszweige an sich gerissen. Sie hat entweder die existierenden Betriebe nach Einschüchterungen und Drohungen übernommen oder diese mit Konkurrenzbetrieben, denen sie mit kriminellem Kapital massive Wettbewerbsvorteile verschafft hat, aus dem Markt gedrängt und kaputt gemacht. Dies sind keine Fantastereien, sondern wissenschaftlich belegte Fakten. Auch die Zahl der Gemeinderäte, die wegen Mafia-Infiltration aufgelöst worden sind, ist in Norditalien inzwischen höher als in Süditalien.

Wollen wir solche Zustände auch in Deutschland? Auf diese Frage kann es nur eine Antwort geben. Bleibt die, warum niemand etwas gegen genau diese Entwicklung tut.

Sandro Mattioli ist deutsch-italienischer Journalist und Vorsitzender des Berliner Vereins Mafia? Nein, danke!.

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