EU schafft Roaminggebühren ab

Experten warnen vor Kostenverlagerung für die Mobilfunknutzer

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Straßburg. Ab kommendem Sommer sollen Reisende ohne Zusatzkosten im EU-Ausland mobil telefonieren und im Internet surfen können. Dafür billigte das Europaparlament am Donnerstag in Straßburg offiziell einen Kompromiss mit den Mitgliedstaaten über Roaming-Großhandelspreise. Die neuen Regeln sollen ab Mitte Juni für die 28 EU-Staaten sowie für Island, Norwegen und Liechtenstein gelten. Auch die Mitgliedsländer müssen noch offiziell zustimmen.

Roaming-Großhandelspreise sind Preise, die der heimische Betreiber dem Auslandsanbieter dafür zahlt, dass sein Kunde zeitweise dessen Netz nutzt. Dafür etabliert die EU nun Obergrenzen von 3,2 Cent pro Minute für Anrufe und 1,0 Cent für SMS. Für Datenvolumen sinken die Obergrenzen schrittweise von zunächst 7,70 Euro pro Gigabyte ab dem 15. Juni auf schließlich 2,50 Euro pro Gigabyte ab dem 1. Januar 2022. Diese Kostendeckel liegen nach EU-Angaben um etwa 90 Prozent unter den aktuellen Begrenzungen.

Der zuständige Vizepräsident der EU-Kommission, Andrus Ansip, sprach von einer »großartigen Errungenschaft«, die einen unmittelbaren Einfluss auf das Leben der Menschen haben werde. Nach beinahe zehn Jahren setze die EU der Angst vor Roaminggebühren, die Europa seit dem Beginn der Mobilfunkära geplagt habe, ein definitives Ende.

Dabei wollte die EU-Kommission das Roaming zunächst nicht komplett abschaffen. Dann hatte die Behörde aber im Herbst ihre ursprünglichen Pläne aufgegeben, die Roaming-Freiheit für Verbraucher auf 90 Tage pro Jahr zu beschränken. Stattdessen sollen Anbieter einen Missbrauch wie etwa das dauerhafte Telefonieren mit billigen ausländischen SIM-Karten unterbinden können.

Eigentlich sollen die für den Großhandel weiterhin bestehenden Gebühren nicht an die Nutzer weitergegeben werden. Doch könnten die Verbraucher dafür anderweitig zur Kasse gebeten werden. »Es ist völlig unklar, was nach dem 15. Juni passiert«, analysiert Susanne Blohm, Referentin für Digitales und Medien beim Verbraucherzentrale Bundesverband in Berlin. Andere wie das Vergleichsportal Verivox sehen bereits eine Preiswende am Mobilfunkhimmel heraufziehen. Verbraucher würden für eine Leistung bezahlen, die eigentlich kostenfrei sei, unterstreicht Christian Schiele, Produktchef Telekommunikation bei Verivox. Anbieter wie Telekom und Telefónica hatten bereits vor längerer Zeit ihre Tarife angepasst und EU-Roaming als Inklusivleistung ins Programm genommen. Dafür wurde der Preis leicht nach oben angepasst. Entfallen nun die Roaminggebühren, kommt es zu einer indirekten Preiserhöhung. Es sei denn, die Unternehmen rechnen die Kosten wieder heraus.

Vertreter der großen Mobilfunknetzbetreiber beschwichtigen: »Die betroffenen Bestandskunden in Altverträgen werden keinen zusätzlich Aufpreis mehr bezahlen müssen«, verspricht Vodafone-Sprecher Thorsten Hoepken. In den Standardtarifen sei das EU-Roaming schon inbegriffen, was auch für Telekom und Telefónica zutrifft. Für die meisten Kunden, so schätzt ein Telekom-Sprecher, ergäben sich deshalb ohnehin keine Änderungen.

Doch Verivox warnt: Der Kostenfaktor Roaming werde nun aufs Inland verlagert und in die Handytarife eingepreist. Folge: Nichtreisende und Geringverdienende zahlten am Ende die Zeche. Einige Discounter und Billigmarken sind bereits dazu übergegangen, rein nationale Tarifmodelle zu entwickeln, die eine Auslandsnutzung ausschließen. dpa/nd

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