Gericht verhängt Abschiebeverbot nach Bulgarien

Ausweisung wegen unmenschlicher und existenzbedrohender Behandlung unmöglich

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Hannover. Abschiebungen von Flüchtlingen nach Bulgarien sind nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover wegen der unmenschlichen und existenzbedrohenden Behandlung dort unmöglich. Auf die Klage eines 19-jährigen jesidischen Kurden hin erlies das Gericht in einem Eilentscheid ein Abschiebeverbot. Der Beschluss sei unanfechtbar und zeitlich unbefristet, solange sich die Situation in Bulgarien nicht grundlegend ändert, sagte ein Gerichtssprecher am Freitag.

Erst im Dezember vergangenen Jahres hatte das Verwaltungsgericht Düsseldorf entschieden, dass Asylbewerber, die bereits in Bulgarien als Flüchtlinge anerkannt worden sind, dorthin zurückgeschickt werden dürfen. In Bulgarien sei »keine unmenschliche und erniedrigende Behandlung« zu erwarten, führten die Richter damals aus. Dort sei es zwar schwierig, aber zumutbar Arbeit zu finden.

Das Verwaltungsgericht Hannover teilt diese Auffassung nicht. Schutzberechtigten drohe in Bulgarien die Obdachlosigkeit und ihnen fehle faktisch der Zugang zum Arbeitsmarkt und zu staatlichen Sozialleistungen, urteilte das Gericht. Eine Abschiebung des Flüchtlings würde seine Existenz bedrohen und zu einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlungen führen. Der junge Mann hatte in Bulgarien Asyl erhalten, die Familie war dann aber nach Deutschland weitergereist. In Fällen anerkannter Flüchtlinge könne nicht auf die für große Teile der bulgarischen Bevölkerung ebenfalls schwierige Lage verwiesen werden, entschied das Gericht. Denn Flüchtlinge hätten keine Sozialkontakte, könnten nicht auf familiäre oder nachbarschaftliche Hilfe zurückgreifen und seien weitgehend auf sich alleine gestellt.

Flüchtlingsorganisationen fordern schon seit langem einen Abschiebestopp nach Bulgarien. Pro Asyl, Diakonie und das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR wiesen in den vergangenen Jahren immer wieder auf die schlechte Lebensmittel- und Gesundheitsversorgung der Asylsuchenden in Bulgarien sowie willkürliche Festnahmen hin. »Asylsuchenden droht in Bulgarien das echte Risiko unmenschlicher und entwürdigender Behandlung angesichts systematischer Defizite bei den Aufnahmebedingungen und den Asylprozeduren«, sagte der UNHCR-Sprecher Babar Baloch im Januar 2014 der Nachrichtenagentur AFP.

Im Jahr 2015 veröffentlichte Pro Asyl eine Dokumentation, die belegt, dass in Bulgarien Flüchtlinge nach der Einreise oft wochen- und monatelang inhaftiert werden. Wird ihnen dort der Schutzstatus – oft ohne Anhörung – zuerkannt, müssen sie aus den Flüchtlingslagern ausziehen. Die fehlenden sozialen Sicherungssysteme in Bulgarien führen dazu, dass anerkannte Flüchtlinge dann mittellos auf der Straße landen und rassistischen Angriffen schutzlos ausgeliefert sind. Sogar die Inhaftierung von unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden ist seit einer Gesetzesänderung seit Anfang 2016 möglich und wird laut der Menschenrechtsorganisation auch durchgeführt.

Das Auswärtige Amt (AA) bestätigte indirekt die Berichte. In einem Schreiben an das Verwaltungsgericht Stuttgart vom Juli 2015 heißt es, »die reellen Chancen, sich in Bulgarien eine Existenz aufzubauen« seien »sehr gering«. Zwar sei für anerkannte Schutzberechtigte theoretisch ein Anspruch auf Sozialhilfe vorgesehen (der Unterhalt des Satzes für bulgarische Staatsbürger von 33 Euro pro Monat), »tatsächlich erhalten aber nur sehr wenige der anerkannten Schutzberechtigten diese finanzielle Unterstützung«, heißt es weiter. »In der Regel bedeutet der Erhalt eines Schutzstatus Obdachlosigkeit«.

Infolge des andauernden Bürgerkriegs in Syrien hat die Zahl der Flüchtlinge in dem zu den ärmsten EU-Staaten gehörenden Bulgarien stark zugenommen. Angesichts der »erniedrigenden und unmenschlichen« Behandlung von Flüchtlingen reisten viele Flüchtlinge direkt weiter, etwa nach Deutschland, berichtet Pro Asyl. »Das sind Menschen, die im Prinzip doppelt verfolgt sind: Erst in ihrem Herkunftsland, dann in Bulgarien«, so Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt. Schutzsuchende würden über Misshandlungen durch Fußtritte und Stockschläge, zum Teil bis zur Bewusstlosigkeit, oder über die Verweigerung des Zugangs zu einer Toilette über Stunden hinweg berichten. Selbst Kinder sollen demnach gezwungen worden sein, auf dem Boden ohne eine Decke zu schlafen. Agenturen/mfr

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