Hamlets Lehrstätte lebt in Siegel, Zepter und Talar fort

Sachsen-Anhalt: Eine Ausstellung und eine Festwoche erinnern an die Vereinigung der Universitäten von Wittenberg und Halle vor 200 Jahren

  • Hendrik Lasch, Halle
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Ende wollten sie nur noch weg. Die Professoren der Universität Wittenberg ersuchten in Dresden um Unterschlupf; auch in Meißen oder Leipzig hätten sie weiter unterrichtet. Ihre Lehranstalt mochte eine grandiose Tradition haben: gegründet 1502, Studienort späterer Berühmtheiten wie Lessing, des Astronomen Tycho Brahe und angeblich sogar von Shakespeares Helden Hamlet. In den Jahren vor 1817 aber waren die Zustände unhaltbar geworden: die Stadt wurde zur Garnison und Ziel von Bombardements, die Universitätskirche wurde Heulager für Napoleons Soldaten, die Zahl der Studenten lag bei mageren 131. »Man hatte sich«, sagt Michael Ruprecht, Kustos der Universität Halle, »von der Idee der Eigenständigkeit verabschiedet.«

Es wurde dann nicht Dresden. Der Wiener Vertrag hatte im Jahr 1815 geregelt, dass große Teile Sachsens an Preußen fielen; in Wittenberg hatte man noch die Wahl zwischen Berlin und Halle - und entschied sich für die näher gelegene Saalestadt. Am 12. April 1817 wurde ein »Regulativ« unterschrieben, das die Vereinigung der Uni Wittenberg mit der 200 Jahre jüngeren in Halle besiegelte. Diese heißt heute »Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg« und erinnert mit einer Ausstellung und einer Festwoche im Juni an die Fusion.

Wittenberg, sagt Kustos Ruprecht, war längst nicht die einzige Universität, die in jener Zeit verschwand. Es gab vielmehr ein regelrechtes »Hochschulsterben«, dem Lehranstalten in Dillingen und Rinteln, Paderborn und Fulda, aber auch in Trier und Köln zum Opfer fielen. In manchen Fällen fehlte Geld; andernorts - wie in Wittenberg - erwies sich der Standort als ungeeignet. Auch die Uni Halle, mit 493 Studenten eine der größten im Land, war aufgelöst worden - sogar zweimal: 1806 und 1813 wurde auf Geheiß Napoleons der Lehrbetrieb eingestellt. Sie kam aber wieder auf die Beine - und bot den Wittenbergern Zuflucht. Sieben von deren 21 Professoren wechselten an die Saale.

Dass eine aufgelöste Universität im Namen einer anderen weiterlebt, ist ein einzigartiger Vorgang, sagt Ruprecht. Und der Name ist beileibe nicht das einzige Relikt der Wittenberger Hochschule: Die Martin-Luther-Universität führt ein Doppelsiegel mit den Signets aus Halle und Wittenberg; die Talare ihrer Lehrer sind in den Farben der Hallenser Fakultäten, aber im Wittenberger Schnitt gefertigt; ihre Studenten werden auf das Zepter aus Wittenberg vereidigt. Auch die Feier zum 150. Jahrestag des Zusammenschlusses fand 1967 in der Stadt an der Elbe statt. Generell sei in der DDR der Bezug zu Wittenberg »stärker als je zuvor« gewesen, sagt Ruprecht. Der Rekurs auf die Reformation sei für den Staat »identitätsstiftend« gewesen, heißt es in der Ausstellung.

Doch auch wenn die dortige Universität in Siegel, Zepter und Talar weiterlebt: Studentisches Leben gibt es in Wittenberg praktisch nicht mehr; nur die internationalen Studenten eines An-Instituts werden dort in deutscher Sprache und Kultur unterrichtet. Die übergroße Mehrheit der fast 20 000 Studenten absolviert Lehrveranstaltungen ausschließlich in Halle. Dennoch bleibe die Wittenberger Geschichte ein »sehr wichtiger Bestandteil unserer Identität«, betont Rektor Udo Sträter. Zudem verweist der Kirchenhistoriker darauf, dass Wittenberg immerhin wieder Ort für Forschung und Tagungen ist - dank der »Leucorea«, die 1994 vom Landtag Sachsen-Anhalt als Stiftung gegründet wurde und an der interdisziplinäre Projekte etwa zur Reformation stattfinden. »Leucorea« ist der historische Name der Universität Wittenberg und leitet sich vom griechischen Begriff für »weißer Berg« ab.

Auch auf andere Weise lebt die Tradition fort: Alljährlich am Reformationstag reisen der Senat der Universität und viele weitere Hochschulmitglieder für eine akademische Disputation nach Wittenberg - ein Spektakel, das mit einem feierlichen Zug der Teilnehmer in vollem Ornat durch die Stadt beginnt. Die öffentliche Disputation sei »wichtiges Zeichen der Verbundenheit« mit Wittenberg, sagt Sträter. Zuletzt standen Thesen zur Lutherdekade im Mittelpunkt; dieses Jahr soll es um »dual use« gehen, also die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse für zivile wie auch militärische Zwecke.

Allerdings wird ausnahmsweise nicht in Wittenberg disputiert, wo zum 500-jährigen Reformationsjubiläum schon viele Veranstaltungen geplant sind und ein riesiger Besucherandrang erwartet wird. Deshalb soll die traditionsreiche universitäre Veranstaltung am 18. Oktober in Halle stattfinden - dennoch unter zahlreicher Teilnahme aus Wittenberg, hofft Sträter: »Die Busse sind schon bestellt.«

»Die combinierte Akademie«: Ausstellung zu 200 Jahre Universität Halle-Wittenberg. Bis 9. Juli im Löwenbau am Universitätsring: Dienstag bis Freitag von 11 bis 13 und 14 bis 18 Uhr, sonntags von 14 bis 18 Uhr.

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