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Das Ende der Ära Lahm und Co.

Mit 2:3 unterliegen die Münchner den Dortmundern im Halbfinale des DFB-Pokals - dem FC Bayern steht ein Umbruch bevor

  • Maik Rosner, München
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Wangen leuchteten noch, aber die Augen sagten etwas anderes. An Philipp Lahms Gesicht ließ sich die Enttäuschung des FC Bayern nach dem Abschied vom erhofften Double beinahe noch deutlicher ablesen als an den zusammengepressten Lippen von Uli Hoeneß, der mit hochrotem und gesenktem Haupt den Kabinengang durchschritt.

»Meine letzten Wochen als Fußballprofi will ich genießen, aber das fällt natürlich heute sehr, sehr schwer«, sagte der niedergeschlagene Lahm nach dem 2:3 (2:1) im Pokalhalbfinale gegen Borussia Dortmund. Als der Kapitän der Münchner über sein nahendes Karriereende sprach, über das letzte Ligaspiel am 20. Mai gegen den SC Freiburg, wirkte es, als ringe er um Fassung. Ein ganz profaner Kick zum Abschluss einer Laufbahn, die als einzigartig in die Fußballgeschichte eingehen wird? »Jetzt ist es so«, sagte der Weltmeister und schluckte.

Schwer wog diese Halbfinalniederlage - besonders für einen wie Lahm, der zeit seiner Karriere nie Fehler machen wollte und tatsächlich kaum welche beging. Diesmal aber hatte er sich einen Ballverlust vor dem entscheidenden Gegentor geleistet. Ein Fauxpas, der als sichtbares Zeichen einer Zeitenwende beim FC Bayern gedeutet werden konnte. Als Ende einer Ära, nicht nur Lahms eigener.

Im Bauch der Münchner Arena hätte die Stimmung bei den der Beteiligten dieses denkwürdigen Spiels an diesem Abend verschiedener nicht sein können: Auf der einen Seite trauerten die Bayern. Betreten, fassungslos, um Worte ringend versuchten sie den zweiten bitteren Abschied von ihren Titelhoffnungen binnen acht Tagen nach jenem im Viertelfinale der Champions League gegen Real Madrid einzuordnen. Gleich gegenüber, nur ein paar Meter weiter, juxten sich die Dortmunder gelöst durch die Interviews.

Besonders taten sich dabei Sven Bender und Roman Bürki hervor, die vergnügt über die Schlüsselszene nach gut einer Stunde Spielzeit scherzten. Bei Arjen Robbens Chance zu einer 3:1-Vorentscheidung hatte sich Bender kurzzeitig zum Vertreter des Torwarts Bürki aufgeschwungen und den Schuss des Münchners auf der Linie mit dem Fuß an den Pfosten gelenkt. Der Kollege Torhüter habe wohl keine Lust mehr gehabt, witzelte Bender über die eigene Großtat. Bürki antwortete vergnügt: »Bis dahin hatte ich Lust, dann musste er ran! Hat er überragend gemacht.«

Die Szene mit Robben war ein Knackpunkt des Matches: 0:1 hatten die Bayern durch das Tor von Marco Reus in der 19. Minute zurückgelegen, noch vor der Pause aber durch die Tore der beiden Innenverteidiger Javier Martínez (28.) und Mats Hummels (41.) das Spiel gedreht. Doch dann vergaben sie mehrere Großchancen wie jene von Robben, bis schließlich Pierre-Emerick Aubameyang (69.) und Ousmane Dembélé (74.) mit ihren Treffern den Gästesiegbesorgten.

Zwei Bierkisten wurden nach Abpfiff eilig in die BVB-Kabine getragen, lauter Jubel drang heraus. Trainer Thomas Tuchel sagte, dieser Einzug ins Pokalfinale gegen Eintracht Frankfurt am 27. Mai fühle sich »sensationell gut an«. Und Sportdirektor Michael Zorc setzte den Sieg in Bezug zum Bombenanschlag auf den Mannschaftsbus vor gut zwei Wochen: »Das ist eine große Genugtuung. Wenn es eine Mannschaft verdient hat nach den letzten Wochen, ein bisschen Glück zu haben und nach Berlin zu fahren, dann Borussia Dortmund.«

Auf der anderen Seite versuchten sich die Bayern an einer ersten Bestandsaufnahme nach einer enttäuschenden Saison, die zwar so gut wie sicher mit dem Rekord von fünf Meistertiteln hintereinander enden wird, aber im krassen Missverhältnis zu den Erwartungen an Trainer Carlo Ancelotti steht. Von dem Italiener hatten sich die Münchner eher Wonne im Mai als Strategiedebatten über einen großangelegten Umbruch und das schlechte Binnenklima versprochen. Zumal Ancelotti als Verwalter gilt, Routine statt Jugend hat er zum Programm erhoben. Statt den Konkurrenzkampf zu fördern und Talente wie Joshua Kimmich aufzubauen, der Lahm als Rechtsverteidiger beerben soll, ließ Ancelotti die Jungen außen vor. Die Arrivierten, auch die verletzten, erschienen ihm tauglicher. Nun wirken sie ausgelaugt, körperlich und mental, sowie aneinander zweifelnd.

»Das ist eine Niederlage, da brauchen wir nicht groß rumreden, die weh tut. Das, was wir innerhalb einer Woche erlebt haben, Madrid und heute, das ist nicht so einfach zu verkraften«, sagte der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge, »es ist kein guter Abend, um über die Zukunft nachzudenken. Jetzt muss man erstmal in Ruhe die Wunden lecken. Und das sind Wunden.« Erst zu gegebener Zeit werde man die Saison bewerten und sich über die Zukunft Gedanken machen.

Die Ergebnisse der Bewertung und die Schlüsse daraus sind allerdings absehbar - nach Ancelottis erster Münchner Saison, die so enttäuschend ausfallen wird wie kaum eine seit 2011, als die Bayern letztmals das Halbfinale der Champions League verpassten. Nun wird nicht einmal das halbwegs tröstende Double Eingang in den Trophäenschrank der erfolgsverwöhnten Münchner finden, nur das »Single« - die gefühlt schale Meisterschale.

Womöglich führt das zu ähnlichen Prozessen wie 2012, als die Bayern ebenso bedröppelt dastanden, nachdem sie in allen Wettbewerben Zweiter geworden waren und ihren bisherigen Rekordtransfer stemmten, den von Martínez für 40 Millionen Euro Ablöse. »Ich weiß nicht genau, welche Rädchen sich anfangen zu drehen«, sagte der ehemalige Dortmunder Hummels, »kann natürlich auch sein, dass es dafür sorgen wird, was wir 2012 mit Dortmund mit dem Double ausgelöst haben: dass da richtig was vorangetrieben wird.«

Ein Umbruch steht bei den Bayern ohnehin an. Philipp Lahm und Xabi Alonso treten in drei Wochen ab. Arjen Robben, 33, und Franck Ribéry, 34, werden in absehbarer Zeit ebenfalls in den Ruhestand treten, womöglich nach der kommenden Saison. Ihren Zenit scheint die Mannschaft überschritten zu haben.

Die Dortmunder hatten ihren großen Umbruch schon im vergangenen Sommer. An diesem Mittwoch wirkte es so, als wäre ihr Finaleinzug ein Versprechen für die Zukunft. Über die Vergangenheit der Bayern hatte Tuchels Elf zumindest triumphiert. Das Wissen, ein Attentat überstanden zu haben, half den BVB-Spieler dabei womöglich sogar ein wenig: »Wir haben uns kennengelernt auf eine Art und Weise, auf die wir gerne verzichtet hätten, aber die trotzdem wahnsinnig werthaltig war«, so umschrieb es Tuchel. Dieser Erfolg gegen Bayern sei »fürs Selbstvertrauen und für die Entwicklung der Mannschaft unersetzbar.«

Am 27. Mai in Berlin will der 43-jährige Tuchel in seiner zuweilen von Dissonanzen geprägten zweiten Saison beim BVB seinen ersten Titel gewinnen. Die Bayern werden zusehen - und über die eigene Entwicklung nachdenken.

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