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Kapitalismuskritik und Firmenwerbung

Auf der zentralen Kundgebung des DGB geißelt ein Pfarrer die »heilige Kuh der Konkurrenz«

  • Sebastian Weiermann
  • Lesedauer: 4 Min.

Die »Stadt der tausend Feuer« wird in Gelsenkirchen heute nur noch im Stadion des FC Schalke 04 besungen. In der Stadt im nördlichen Ruhrgebiet sind die Zechen wie im Rest der Region mittlerweile geschlossen. Man lebt den Bergarbeiterkult allerdings noch weiter. Beim Fußball wird das »Steiger-Lied« gesungen, der Verein wirbt mit dem Slogan »Kumpel- und Malocherclub« für sich.

Auch im Rest der Stadt ist die Zeit des Bergbaus noch omnipräsent. Zahlreiche Häuser werden von Loren im Vorgarten geschmückt, über manchen Hauseingängen finden sich die gekreuzten Hämmer der Bergmänner. Und Gelsenkirchens größter Park, der Nordsternpark, befindet sich auf einem alten Zechengelände.

Als der Bergbau noch Hochkonjunktur hatte, gingen am 1. Mai Zehntausende Menschen zur Demonstration des DGB. In diesem Jahr sind es mehrere Hundert Leute, die an diesem nassen, kalten Feiertag zur Kundgebung kommen - und das, obwohl der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann und Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) sprechen.

Eröffnet wird die Demonstration mit einem ökumenischen Gottesdienst. Dieter Heisig, Pfarrer beim Evangelischen Kirchenkreis Gelsenkirchen und Wattenscheid, hält eine eindrückliche Predigt. Er lobt das diesjährige Motto des DGB »Wir sind viele. Wir sind eins«, dies weise auf den Zusammenhalt hin, den es in der Gesellschaft geben müsse. Nationalismus und Rassismus dürfe kein Platz gegeben werden.

Heisig nimmt auch den Kapitalismus ins Visier. Die »heilige Kuh der Konkurrenz« müsse »geschlachtet« werden, denn sie erzeuge notwendigerweise Opfer. Konkurrenz sei das »Gesetz des Dschungels«, dem müsse man Menschlichkeit und Solidarität entgegensetzen. Um Solidarität geht es in vielen Redebeiträgen, die während der Kundgebung gehalten werden. Und um den Widerstand gegen Rechtspopulisten. Die AfD versucht, die Arbeiter zu locken, im Ruhrgebiet und anderswo.

Davor warnt auch Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski. Die Angebote der Rechten seien aber keine Alternative, sagt der SPD-Politiker. Sie sorgten für eine Spaltung der Gesellschaft und für Ausgrenzung. Das sei schon immer so gewesen. Dem müsse man sich entgegenstellen.

DGB-Chef Hoffmann appelliert an eine »einige« und starke Gewerkschaftsbewegung. Nie sei den Gewerkschaften etwas geschenkt worden, heute müsse man auch die Errungenschaften der Gewerkschaftsbewegung verteidigen.

Die Zeiten sind nicht rosig in Gelsenkirchen. Eine Arbeitslosenquote von 16,8 Prozent, und immer wieder schließen Unternehmen. Im Stadtteil Ückendorf stehen halbe Straßenzüge mit Häusern aus der Gründerzeit leer. In Hamburg oder Berlin wären die Altbauwohnungen wohl für viele Menschen unbezahlbar. In Gelsenkirchen ist der Anteil jugendlicher Arbeitsloser besonders hoch. Das erwähnt auch Pfarrer Heisig. In Gelsenkirchen gebe es, wie im gesamten Ruhrgebiet, große Probleme. Aber es gibt auch Besonderheiten in der Stadt, wie Heisig schildert. Dass die Demonstration zum 1. Mai von einem Gottesdienst eröffnet werde, sei nicht üblich. Auch sei es nicht üblich, dass dort Marxisten und Christen Seite an Seite stehen.

Nicht ganz so zufrieden mit den Traditionen ist Paul Erzkamp. Er ist Vorsitzender des sozialistischen Jugendverbandes »Die Falken« in Nordrhein-Westfalen. Erzkamp sagt, bei der Demonstration gebe es »viel Tradition und wenig Kampf«. Solange, wie er sich erinnern könne, verlief die Demonstration immer entlang der gleichen Route. Nur als es mal eine Baustelle gab, musste der Weg geändert werden, erzählt Erzkamp grinsend. Auch zur allgegenwärtigen Bratwurst gebe es seit 20 Jahren keine Alternative. Erzkamp würde sich wünschen, dass bei der Maidemonstration ganz anders auf aktuelle gesellschaftliche Fragestellungen eingegangen würde.

Wenig Kampf und viel Sozialpartnerschaft - unter diese Devise könnte man die Stände von Großbetrieben aus dem Ruhrgebiet wie ThyssenKrupp und Uniper stellen. Sie werben mit mobilen Ausbildungswerkstätten für ihre Betriebe. Aufgrund der hohen Jungendarbeitslosigkeit hat sich der DGB dazu entschlossen, seine Demonstration auch für die Arbeitgeber zu öffnen.

Auf große Resonanz stoßen die Stände allerdings nicht. Vielleicht haben einfach die meisten der jungen Leute, die an der Demonstration teilnehmen, schon einen Ausbildungsplatz.

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