Vom Rasen zum Rechner

Tim Schwartmann war Verteidiger, jetzt spielt er FIFA für Schalke 04

  • Lesedauer: 5 Min.

Schalke 04 steht für Herzblut, Schweiß und Currywurst. Kann man solch ein Feeling denn überhaupt in die virtuelle Welt rüberbringen?
Das ist zweifellos eine Herausforderung. Andererseits zeichnet echte Schalker eine gemeinsame Haltung aus: rennen und niemals aufstecken, alles geben für den Sieg. Die Kicker im Stadion fighten bis zur Erschöpfung, und wir E-Sportler hängen uns mental voll rein. Das ist unverfälschtes Schalke, auf dem Rasen und digital.

In der Gamer-Community sind Sie unter dem Namen »Tim Latka« bekannt. Das klingt nach Latka-Fan. Nun hat der Tscheche Martin Latka in der Fußballbundesliga nie für Schalke gespielt, sondern für Fortuna Düsseldorf. Wie passt das für Sie zusammen?
Den Martin Latka schätze ich schon lange, und das hat vor meinem Einstieg bei Schalke begonnen. Schließlich kickte ich früher selber in der Jugendliga und dort in der Innenverteidigung wie Latka bei den Profis. Sein kompromissloser Einsatz imponierte mir sehr. Das ändert aber nichts daran, dass ich überzeugter Schalkefan war und bin.

650 Teams in 30 Ligen

Die digitale Fußballsimulation FIFA ist Ende 1993 zum ersten Mal auf den Markt gekommen. Mittlerweile wird das Game für PC und diverse Konsolen im Jahresrhythmus aktualisiert, die jüngste Version läuft unter FIFA 17. Das digitale Spiel ist lizenziert vom Weltfußballverband FIFA, der Profivereinigung FIFPro und diversen nationalen Verbänden. Entsprechend können die Fans im virtuellen Szenario zwischen 650 Teams und mehr als 30 Ligen wählen. FIFA gehört zu den beliebtesten und meistverkauften Onlinespielen weltweit.

Ein Third-Person-Camera-System vermittelt ein realistisches Bild vom Geschehen auf dem virtuellen Rasen. Die Gamer können sich zum Beispiel ein Team aussuchen, das sie über längere Zeit begleiten. Angeboten werden Funktionen als Trainer oder Manager. Die Gamer müssen sich nicht mit angebotenen Mannschaften zufrieden geben, sondern dürfen Nachwuchsstars verpflichten oder komplett neue Teams aufbauen. gra

Ein sicher spannender Wechsel vom Rasen an den Rechner. Fehlt Ihnen nicht manchmal der direkte Leistungsvergleich Mann gegen Mann auf dem Platz?
Abgesehen davon, dass ich in der Freizeit weiter ein bisschen bolze, habe ich im Schalker Team mit FIFA das Hobby zum Beruf gemacht. Denn dieses E-Game ist meine Riesenleidenschaft seit frühen Schülertagen. Und dabei lassen sich übrigens einige taktische Züge durchaus von der einen auf die andere Disziplin übertragen.

Im Ernst, das klappt?
Nehmen Sie zum Beispiel kurze Pässe, mit denen der FC Barcelona momentan die Konkurrenz dominiert. Die sind in der aktuellen Edition FIFA 17 auch ein guter Plan, während in Vorgängerversionen wie FIFA 14 der Weg über die Flanke oft zielführend war.

Ihr aggressiver Spielstil im E-Match wird allseits respektiert und gefürchtet. Bricht da der Innenverteidiger von einst durch?
Die eigene Performance bewerten, das ist immer schwierig, außerdem glaube ich nicht, dass ich übermäßig aggressiv agiere. Im übrigen sollte man die zweifellos vorhandenen Analogien zwischen realem Fußball und FIFA nicht überziehen. Auf dem Rasen kämpfe ich als Einzelperson und muss mich zugleich der Mannschaft unterordnen. Im elektronischen FIFA-Szenario setze ich elf virtuelle Teammitglieder gleichzeitig ein.

Dann sind Sie vor dem Computerschirm in Wahrheit mehr Jogi Löw als Ihr Vorbild Martin Latka?
Eher bin ich eine Art Spielertrainer. Vor der Begegnung stelle ich eine Auswahl nach meinen Vorstellungen zusammen. In der Partie steuere ich jeweils einen digitalen Fußballer zur Zeit und hoffe, dass die übrigen zehn Leute, die vom Programm dirigiert werden, das machen, was sie in der konkreten Situation tun sollten. Das ist quasi eine Doppelrolle: das Geschehen von außen betrachten und gleichzeitig voll in das Game eintauchen.

Inwieweit können Sie sich denn, wenn sie nur je einen Spieler direkt lenken, auf die anderen zehn dann computergestützten verlassen?
Inzwischen ist FIFA ziemlich ausgereift. Es passiert äußerst selten, dass Angriffe oder Verteidigungsmaßnahmen scheitern, weil die computergesteuerten Spieleravatare etwas Kontraproduktives unternehmen. Aber Überraschungen sind nicht ausgeschlossen, wie im echten Fußball. Mal hast du Glück, mal hast du Pech.

Ein Trainer aus der realen Bundesliga tüftelt eine neue Aufstellung oder Strategie aus und spielt die am Rechner durch - wäre das sinnvoll?
Im Prinzip ist es zumindest denkbar. Und ein eventuell interessierter Coach mag sich gerne bei mir melden, um das gemeinsam auszuprobieren.

Cihan Yasarlar, der zweite Mann aus Schalkes FIFA-Squad, ist in der virtuellen Bundesliga amtierender Deutscher Meister. Sie selber schafften bei den internationalen Titelkämpfen der Vereinsspieler in Warschau Platz zwei. Gehen mit solchen Erfolgen auch Träume des einstigen Jugendfußballers in Erfüllung?
Ganz klar. Ich wollte, seit ich denken kann, unbedingt für Schalke spielen. Und heute vertrete ich meinen Lieblingsverein tatsächlich erfolgreich, allerdings am Rechner. Aber das ist egal: Fußball auf dem Rasen oder digital, wir gehören alle zur Schalker Familie. So ist z.B. auch bei uns Trainingsfleiß eine große Ehrensache.

Wie oft trainieren Sie?
Im Schnitt täglich drei Stunden. Vor dem Schirm musst du innerhalb von Millisekunden schalten und Entscheidungen treffen, eine schnelle und möglichst perfekte Hand-Augen-Koordination ist unabdingbar für den Sieg.

Wie ist Ihr Verhältnis zu den Schalker Rasenprofis?
Viele begeistern sich selbst für FIFA und finden cool, was wir in der E-Sport-Abteilung machen. Übrigens konnte ich mich erst kürzlich bei einem Freundschaftsmatch mit unserem Stürmer Breel Embolo messen.

FIFA ist eines der beliebtesten Games weltweit. In der ESL, also der wichtigsten Plattform für E-Sport, spielt digitaler Fußball aber noch nicht in der Spitzengruppe. Ärgert Sie das?
Nein. Zumal FIFA vor allem in Deutschland rasant zulegt, und bei der ESL wird man das bald merken. Viel Anteil daran haben Klubs wie Schalke 04, die neben dem klassischen Sport auch auf E-Sport setzen.

Schalke 04 hat auch Topleute für »League of Legends«, kurz: LoL, unter Vertrag, also für ein Multiplayer-Echtzeit-Strategiespiel. Könnte Sie das auch reizen?
Ausgeschlossen. »LoL« ist eine total andere Disziplin. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, denn ich will mich mit diesem Vergleich nicht etwa auf eine Stufe mit Cristiano Ronaldo stellen. Aber der würde sicher auch nicht ernsthaft sagen: »Jau, ich hab’ jetzt mal Bock auf Formel Eins!«

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