Comeback aus lauter Langeweile

Unverhofft kehren die besten Volleyballer zum Nationalteam zurück - gerade rechtzeitig zur WM-Qualifikation

Georg Grozer kann sich noch gut erinnern an diesen Moment, als er auf den Boden der Berliner Max-Schmeling-Halle sank und minutenlang einfach sitzen blieb: »Ich dachte, das Trikot der Nationalmannschaft werde ich nie mehr tragen, denn es war das Maximum, was wir erreichen konnten.« Grozer hatte an diesem 10. Januar 2016 mit den deutschen Volleyballern gerade Platz drei des Qualifikationsturniers und damit die Olympischen Spiele in Rio verpasst. »Ich war mir sicher, das war die letzte Olympiachance, und dann kam so eine Riesenenttäuschung.« 14:16 im fünften Satz gegen den Weltmeister Polen. Aus der Traum. Für immer.

Nun ja, fast immer, wie sich 16 Monate später zeigen sollte. Plötzlich hatte Grozer doch wieder das Trikot mit den schwarz-rot-goldenen Streifen auf der Brust an und trainierte mit den alten Kumpanen im Bundesleistungszentrum im brandenburgischen Kienbaum. Das nächste Ziel heißt WM-Qualifikation. Die beginnt an diesem Mittwoch in Lyon mit einer Partie gegen die Ukraine. Fünf Spiele in fünf Tagen, ganz am Ende der schwerste Brocken gegen Gastgeber und Europameister Frankreich. Nur der Sieger kommt direkt weiter. Da braucht es die Besten der Besten.

Quali-Modus

Vom 23. bis 28. Mai 2017 findet die erste Qualifikationsrunde für die WM 2018 (in Bulgarien und Italien) statt, vom 11. bis 16. Juli die zweite. In Runde eins wird in sechs Sechsergruppen gespielt, nur die jeweiligen Turniersieger qualifizieren sich. Deutschland trifft in Gruppe F auf Portugal, Frankreich, Finnland, Slowenien, Estland. Spielort ist Viana do Costelo (Portugal). Die sechs Zweitplatzierten spielen in einem weiteren Sechserturnier die zweite Runde, der Sieger sichert sich das letzte Ticket.

Diagonalangreifer Grozer ist aber nicht der Einzige: Auch Zuspieler Lukas Kampa, Kapitän Jochen Schöps sowie Libero Markus Steuerwald hatten das Ende der Nationalmannschaftskarriere erwogen oder dies sogar öffentlich verkündet. Jetzt sind alle zurück. Schuld daran: Langeweile, der neue Bundestrainer und ein bisschen Gruppenzwang. »Ich hatte mich ursprünglich auf einen freien Sommer gefreut. Aber dann war die chinesische Liga schwächer, als ich vorher gedacht hatte«, beschreibt Grozer in Kienbaum seinen Sinneswandel. Sein geschundener Körper konnte sich in der Zeit, in der er kaum gefordert wurde, zwar erholen, »aber irgendwann bin ich verrückt geworden. Ich habe gemerkt: So alt bin ich doch noch nicht, dass ich eine ganze Saison nur auf ein Finale warte, in dem es mal anstrengend wird.«

Grozer holte sich in dem Finale mit Shanghai den chinesischen Meistertitel. Die deutschen, russischen und polnischen hatte er schon. Doch ihm war immer noch langweilig, und so heuerte er im Winter schnell noch in Katar an. Die Meisterschaft verpasste er dort zwar, aber immerhin reichte es für den Pokalsieg.

Die Langeweile aber blieb. »In diesem Moment hat mich dann Giani angerufen.« Giani, das ist der neue Bundestrainer Andrea Giani, der Grozer fragte, ob er nicht ins Nationalteam zurückkehren wolle. Es war offenbar der perfekte Zeitpunkt für die Frage. »Ich hatte großen Respekt vor ihm. Als Spieler hatte er fast alles erreicht und dann als Trainer mit Slowenien EM-Silber gewonnen. Ich wollte den neuen Bundestrainer nicht im Stich lassen«, erinnerte sich Grozer.

Direkt zugesagt hatte er aber nicht. Er ließ es erst mal sacken. Dann schrieb ihm Lukas Kampa eine Nachricht, er habe gehört, dass Grozer zurückkäme. Dann kamen Jochen Schöps und Markus Steuerwald dazu. Eine WhatsApp-Gruppe wurde eingerichtet, die nur »Spieler« hieß, aber doch das »Who is who« des deutschen Volleyballs vereinte. »Niemand von uns hat Georg direkt überredet. Wir haben uns vielmehr gegenseitig überredet«, erinnert sich Kampa. »Irgendeiner fragte, wer mitspielen würde, wenn alle anderen auch dabei wären. Dann schrieb einer nach dem anderen: ›Na, wenn alle spielen, bin ich auch dabei.‹ Das ging recht schnell.«

Am wichtigsten für Giani ist ohne Frage Grozer. Er ist seit Jahren der beste deutsche Volleyballer. Schöps oder der junge Nachfolger Simon Hirsch könnten seine Wucht in Angriff und Aufschlag auf der Diagonalposition nicht ersetzen. Und Giani hat Grozer anscheinend Honig ums Maul geschmiert. »Ich will, dass die Mannschaft schnell den Punkt macht, mit Risiko angreift«, sagte Giani. Ein deutlicher Unterschied zum Vorgänger Vital Heynen, für den Sicherheit im Angriff ein hohes Gut ist, was aber nicht zu »Hammerschorsch« Grozer passt. »Die ersten Trainingstage haben mich fasziniert. Mir macht es Spaß, wenn mir ein Trainer sagt, ich soll mehr draufhauen. Da habe ich mich ein bisschen verliebt«, scherzt der bullige Zwei-Meter-Mann. »Das ist eher mein Stil.«

Offensichtlich hebt das die Laune Grozers, für den das komplette Team nach der Woche in Kienbaum zum zweiten Trainingslager nach Bochum fuhr, ganz in die Nähe der Familie des Superstars. Alle Spieler sind sich einig, dass Giani im Training ein harter Hund ist, Grozer war trotzdem ständig zu Scherzen aufgelegt. »Die schönen Erinnerungen sind zurück. Es macht Spaß, mit den Jungs endlich mal wieder auf hohem Level zu spielen«, sagte der 32-Jährige. Der Spaßfaktor ist so groß, dass Grozer seine Comeback-Pläne sogar noch verlängert hat. »Erst wollte ich nur die Qualifikation spielen in diesem Sommer, aber mittlerweile wäre ich gern auch bei der EM dabei«, verriet er »nd«.

Auch Kampa konnte sich der Aura des neuen Manns an der Seitenlinie nicht erwehren. Immerhin hat Giani mit Ausnahme eines Olympiasieges als Spieler alles gewonnen: WM, EM, Champions League. »Wenn dir ein Mann wie Giani sagt, dass er dich braucht, ist es schwer abzusagen«, so Kampa.

Dabei denkt der 30-Jährige noch immer, dass er im Sommer mal kürzer treten müsste, schließlich hat er in der starken polnischen Liga als Stammspieler durchgeackert und Platz drei erreicht. »Ich hatte danach aber einfach Lust auf die Nationalmannschaft. Ich wollte zunächst nur die EM spielen. Weil alle anderen schon jetzt dabei sind, spiele ich eben auch die WM-Qualifikation«, sagt Kampa. Im Gegensatz zu Grozer hat ihn nicht die Langeweile zum Nationalteam getrieben, sondern das Gefühl, auf dem Leistungszenit zu sein und somit der Mannschaft gerade jetzt nützlich sein zu können. Er will sie direkt zur WM führen.

Für die EM im August in Polen sind die Ziele noch nicht definiert worden. Dazu fehlte bislang die Zeit - und die Sicherheit, wer dann alles mitspielen will. Lukas Kampa hat für Letzteres schon mal eine Lösung parat: »Mal sehen, wer dann wieder in der WhatsApp-Gruppe dabei ist.«

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