Als eine dumme, anständige Welt explodierte

Die italienische Kommunistin Luciana Castellina blickt auf die Zeit ihres politischen Erwachens zurück

Lange Zeit war ich ein unkritisches Parteimitglied. Ich habe Entscheidungen und gegenteilige Entscheidungen der Partei akzeptiert, ohne zu diskutieren, weil die Partei mein Moralkodex war«, gesteht Luciana Castellina, geboren 1929 in Rom. Und: »Wir alle vergossen Tränen, als Stalin 1953 starb.«

Die Journalistin, Politikerin und Schriftstellerin, eine Ikone der italienischen Linken, war 1947 der PCI beigetreten. Nachdem sie unter anderem mit der nicht weniger berühmten Rossana Rossanda 1969 die unabhängige linke Tageszeitung »Il Manifesto« gegründet hatte, in der sie die »reformistische Linie« der Partei geißelte, wurde sie ausgeschlossen. Sie fand eine neue politische Heimat in der Partito di Unità Proletaria per il Comunismo (PdUP) und später in der Partito Democratico della Sinistra (PDS). Sie war lange Jahre Abgeordnete im italienischen und im Europäischen Parlament. »Das Mitgliedsbuch der PCI mit der Nummer 2158861 bewahre ich noch immer auf, zusammen mit all den anderen Mitgliedsbüchern meiner Karriere als Kommunistin«, schreibt sie in ihren Erinnerungen.

Eigentlich wollte sie Malerin werden. Bei einer Buchvorstellung in Berlin zaubert sie, während sie auf die Übersetzung der Fragen des Publikums wartet, filigrane Frauengestalten aufs Papier - und schenkt sie mir anschließend. Eine beeindruckende Frau, die viel erlebt und viel zu erzählen hat und ihren Idealen in Zeiten der Ideallosigkeit treu blieb.

In »Die Entdeckung der Welt« geht es nicht um ihre großen politischen Kämpfe, nur marginal. Luciana Castellina blickt auf ihre Kindheit zurück, sich auf das Tagebuch stützend, das sie als junges Mädchen führte. Es endet 1947. Und es beginnt mit dem 25. Juli 1943 - jenem Tag, als ihr Tennisspiel mit ihrer Klassenkameradin Anna Maria, »arrogant, aber sympathisch«, plötzlich unterbrochen wurde. Die Tochter von Benito Mussolini rief ihr zu: »Ich muss schnell weg.« Und verschwand mit einem Polizisten, der sie und ihren Bruder stets »wie eine Gouvernante umsorgte«. Erst am späten Abend erfuhr Luciana vom Sturz des Diktators und der Installierung einer neuen Regierung unter Pietro Badoglio.

Die Tagebucheinträge zeugen vom allmählichen politischen Erwachen einer Teenagerin, ihrer Befreiung aus dem Ungeist »hyperfaschistischer« Lehrerinnen dank antifaschistischer Familienmitglieder und Freunde sowie geschuldet den Erfahrungen unter deutscher Okkupation mit der nun auch in Italien beginnenden Deportation der Juden, darunter Verwandte und Freunde. Bis endlich im Mai/Juni 1944 die Engländer und Amerikaner kamen: »Italia libera«. Es dauert noch einmal über ein Jahr, bis ihre »kleine, dumme und anständige Welt explodierte«, wie Luciana Castellina bemerkt. Die Kunststudentin wird in die hitzigen politischen Debatten des Neuanfangs hineingezogen, reist zu einem Jugendfestival nach Prag, baut an der Eisenbahn der Jugend in Titos Jugoslawien mit und notiert: »Das Leben ist fantastisch.«

Im Vorwort schreibt ihre Tochter Lucrezia Reichlin: »Ich bin meinen eigenen Weg gegangen, und ich glaube nicht, dass meine Generation sich dessen, was man gemeinsam tun konnte, ebenso sicher war wie die vorhergegangene Generation oder zumindest ein Teil von ihr. Ich glaube, wir hatten mehr Glück, waren aber weniger glücklich.«

Luciana Castellina: Die Entdeckung der Welt. Laika-Verlag. 192 S., br., 21 €.

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